Süden und das Geheimnis der Königin
rechts rein«, sagte Martin. Wolfi stolperte schon in eine zweite Runde um den Platz.
Abrupt hielt er inne, sah sich um, zeigte in Richtung Klenzestraße, die sich hinter dem Rondell fortsetzte, holte Luft und steuerte darauf zu. Ich blieb nah bei ihm.
»Die Soraya war eine schöne Frau«, sagte ich. Wolfi schnaufte.
»Aber dann ist sie verschwunden und der Franz nicht.«
»Verschwunden«, sagte Wolfi.
»Freilich ist die verschwunden. Einfach verschwunden.«
»Du hast damals keine Aussage gemacht«, sagte ich. Martin schwieg die ganze Zeit. Er war der Zeuge des Gesprächs. Wenn er auch Fragen gestellt hätte, wäre das Risiko zu groß gewesen, dass Wolfi noch mehr in Verwirrung geriet und aus Trotz nichts mehr sagte.
»Was hätt ich sagen sollen?« Er hielt wieder inne, keuchte, hustete, beugte sich nach vorn und spuckte aus. Ungelenkt setzten seine Beine ihren Weg fort, schleppten den Körper notgedrungen mit.
»Du wusstest auch nicht, wohin sie verschwunden war«, sagte ich.
»Natürlich nicht! Woher denn, Mann?« Er nickte.
»Wusste Franz, wohin sie ist?«
»Sicher.«
»Und wo ist sie hin?«
»Nach Italien natürlich!«, schrie er und ließ seine flache Hand auf die Kühlerhaube eines geparkten Autos krachen. Es hatte keinen Sinn, ihn daran zu erinnern, dass er eben noch behauptet hatte, er hätte nicht gewusst, wohin Soraya verschwunden war. Andere Dinge waren jetzt wichtiger.
»Aber ihr Freund, der Franz, ist nicht mitgekommen«, sagte ich, als ginge es hier um eine Frau, die kurzfristig verreist war, und nicht um eine Person, die wir seit zehn Jahren für verschollen hielten.
»Hatte der keine Lust?«
»Spinnst du?«, sagte Wolfi laut. Eigentlich hätten wir nach rechts in die Buttermelcherstraße abbiegen müssen, aber Wolfi ging geradeaus weiter, und ich korrigierte seine Richtung nicht.
»Er hätte schon Lust gehabt«, sagte ich.
»Aber sie wollte nicht.«
»Jetzt sag ich dir mal was, jetzt pass mal auf!« Er blieb stehen und tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Brust.
»Was die wollt, also was die so wollt, das hat niemand kapiert. Die wollt was Besseres sein, aber sonst? Der Franze, der war Fahrer! Fahrer! Ist das was Besseres? Er hat keinen Rolls-Royce gefahren, ist ja klar, oder? Er hat Lkws gefahren, er hat eine Scheißarbeit gemacht, und er hat sich fertig gemacht für die Frau. Die hat schon was gehabt…« Er hörte auf, mir auf die Brust zu tippen und betrachtete seinen Zeigefinger.
»Die war schon gut. Die war… Da hast einfach zugreifen müssen, verstehst? Nicht jetzt… busenmäßig oder so, das mein ich nicht, ich mein, die hat eine Ausstrahlung gehabt, eine… eine Fas… eine Faszination, was… was Eigenes, bei der hast du immer das Gefühl gehabt, die nimmt dich, und dann bist du… dann bist du der König. Verstehst? Du wolltst einfach unbedingt… unbedingt…«
»Unbedingt?«, sagte ich.
»Unbedingt, dass die dableibt, da bei dir, wegen der Ausstrahlung, wegen dem… Das ist jetzt zehn Jahr her oder noch länger, und ich hab… ich hab…« Er hob die Hände, breitete sie aus wie ein Priester in der Kirche, ruckelte mit den Armen.
»Ich kann die immer noch spüren… Da… Ich spür noch die Haut von der… den Rücken, verstehst? Das ganze Gestell, das war weich und fest und… so halt… und sie hat gut gerochen, die hat immer so gut gerochen, nicht aufdringlich, verstehst? Nicht nuttig oder so… Als würd… als würd ihre Haut einen Geruch haben, den sonst niemand hat… das… kannst nicht beschreiben, das war eine Frau, bei der hast dich in ihrem Schatten sonnen können. Verstehst? So eine… so eine… Da kannst nicht sagen, die interessiert mich nicht… oder die seh ich nicht, so blind kannst gar nicht sein… Und wennst blind bist, dann siehst du’s trotzdem. Verstehst mich?«
»Ja«, sagte ich.
»Du hast sie sehr gemocht, die Soraya.«
»Schon der Name!«, sagte er und fuhr sich mit dem Ellbogen über die Stirn.
»Soraya. Da liegst du dann da… da so neben ihr… und sagst einfach bloß den Namen… Das ist schon irre… Ich seh die da liegen… Da liegt die so…« Er starrte auf die dunkle Straße.
»Liegt da… Die hat niemand halten können. Die hat was gehabt, das hat keiner kapiert, irgendwas hat die verschwiegen, die hat nie was erzählt, was Privates, jetzt fällt’s mir wieder ein… Nix. Die hat nix erzählt, verstehst? Du hast ihr alles erzählt, das ganze Leben in einer Nacht, aber sie… nix. Die hat keiner halten können,
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