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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Martin.
    »Heute nicht mehr«, sagte ich.
    Wir setzten uns auf die Bank auf dem Vorplatz, auf dem im Sommer Tische und Stühle standen und Essen serviert wurde. Dann schwiegen wir. Martin rauchte eine Salem ohne. Ich legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und verschränkte die Arme.
    »Warum hat Wolfi damals nichts unternommen?«, fragte ich mit geschlossenen Augen.
    »Kann es sein, dass er was zu verbergen hatte?«, sagte Martin.
    »Vermutlich.«
    »Was?«
    »Und warum haben die Eltern nichts von dem Italiener erzählt?«
    »Weil sie was zu verbergen hatten?«
    »Und warum hat sich Franz Grosso damals nicht bei uns gemeldet?«
    »Kann es sein«, sagte Martin, »dass wir himmelschreiend versagt haben?«

8
    I m Gegensatz zu vielen meiner Kollegen war ich der Meinung, dass wir unsere Arbeit bei der Polizei nur selten perfekt machten, meist, das würde ich zugestehen, machten wir sie gut, oft half uns die Routine, und manchmal hatten wir einfach Glück. Aber in den wenigen Fällen, in denen wir über uns hinaus wachsen mussten, scheiterten wir zu oft, als dass wir das Recht gehabt hätten, uns in großem Stil zu loben, wie ich es auf einigen Weihnachtsfeiern erlebt hatte. Vielleicht war ich ein Polizist, der zu oft an den Grundfesten seines Berufs zweifelte, vielleicht hinderte mich meine tiefe Überzeugung, dass auch ein Heer exzellenter Kriminalisten die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht garantieren und abscheuliche Verbrechen verhindern kann, daran, gelassen eine Akte zu schließen und sie mit ein paar staatstragenden Worten an die Staatsanwaltschaft zu schicken, um danach das Glas auf den erfolgreich abgeschlossenen Fall zu erheben.
    Vielleicht wunderte ich mich auch nach fünfundzwanzig Dienstjahren noch zu oft darüber, wie armselig und gleichzeitig gerissen die Menschen sich verhielten und wie selbstverständlich sie Dinge jenseits aller Gesetze, jenseits aller Vernunft, jenseits aller gesellschaftlichen Normen taten.
    Vielleicht hatte ich einen Untermieter in meinem Herzen oder in meinem Kopf, und dieser Untermieter war ein Moralist, und ich hasste ihn und brauchte ihn dennoch dringend, beinahe so, als könnte ich mir sonst das Leben nicht leisten.
    Natürlich waren die meisten meiner Kollegen Moralisten – einige sogar verkappte Prediger oder Undercovererlöser –, doch sie schienen gut damit klarzukommen, sie führten eine ordentliche Beamtenexistenz mit Höhen und Tiefen, sie katalogisierten ihr persönliches Empfinden auf die gleiche Weise wie sie Akten ordneten, sie bewegten sich innerhalb eines festgefügten Koordinatensystems, auf das sie sich vollkommen verließen. Und ich beneidete sie manchmal darum.
    Mir gelang kein Tag nach Plan, nicht ein einziger. Ich begegnete jedem Menschen mit meiner ganzen Persönlichkeit und schaffte es nicht, mich aufzuspalten. Ich war immer nur der eine Tabor Süden, jeder erkannte mich wieder, ich setzte nie ein Zweitgesicht auf, nie mimte ich einen anderen. Wenn ich als Polizist Erfolg hatte, empfand ich dies als ebensolche Genugtuung, wie wenn ich mit einer Frau schlief und außer mich geriet. Ich war vierundvierzig Jahre alt und an einem einzigen Tag abwechselnd ein Kind, ein Erwachsener, ein Greis, eine Frau und ein Fremder, ich ging nicht in die Arbeit, ich betrat ein Gebäude, in dem ich Geld verdiente, ich ging nicht nach Hause, ich ging in ein Haus, in dem ich allein war, ich sprach mit Leuten auf meine immer gleiche Art, auf der Straße, im Gasthaus, im Gefängnis, bei Vernehmungen. Meine Stimmungsschwankungen waren oft gewaltig, und ich unterdrückte sie nirgendwo. Den einzigen Unterschied zwischen meinem Vorgesetzten und Rollo Zirl, meinem Hauptwirt, sah ich darin, dass Volker Thon eine Vorliebe für Seidenhalstücher hatte und Rollo bei der Vorstellung, Seidenhalstücher tragen zu müssen, augenblicklich die Krätze kriegte. Und wenn es mir gefiel, ignorierte ich beide, obwohl ich ziemlich auf sie angewiesen war.
    Auf meine Eigenschaften war ich nicht im mindesten stolz. Absurder Gedanke: Wozu sollte man auf etwas stolz sein, für das man nichts konnte, das man hatte und mit dem man lernen musste umzugehen? Noch dazu, wenn man begriff, wie wenig es einem half, sich zu kennen. Wir scheitern ständig, sagte ich manchmal auf der Weihnachtsfeier zu meinen Kollegen, das Einzige, was uns ab und zu gelingt, ist, das Ausmaß des Scheiterns zu verringern. Dann stellten sie mir ein frisches Bier hin und klopften mir auf die Schulter.
    Aber ich bin noch

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