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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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heute, nachdem ich längst aus dem Polizeidienst ausgeschieden bin, dieser Meinung. Und noch heute bin ich überzeugt, dass der Fall der verschwundenen Soraya Roos zu jenen Fällen zählt, an denen wir – Martin Heuer und ich – elementar gescheitert sind. Nicht, weil wir die Sache nicht zu einem Abschluss gebracht hätten – das taten wir –, sondern weil wir bestimmte Menschen, die darin verwickelt waren, von Anfang an nicht im geringsten durchschauten. Und als es uns endlich gelang, scheiterten wir daran, sie zu verstehen.
    Ich scheiterte an mir. Trotz – oder vermutlich gerade wegen – des Untermieters in mir.
    Am Morgen des vierten Mai klingelten wir an einem Mehrfamilienhaus in der Bergmannstraße auf der Schwanthaler Höhe. Wir klingelten fünfmal, ehe wir ein Knacken in der Sprechanlage hörten.
    »Ich weiß genau, warum Sie hier sind«, sagte der dicke alte Mann, der kurz darauf eine Wohnungstür im dritten Stock öffnete.
    »Aber wissen Sie wirklich, warum Sie hier sind?«
    Nach diesem Gespräch, das mit einem langen Schweigen begonnen und mit der stockenden Erzählung eines Mannes geendet hatte, die Martin und mich wiederum in ein Schweigen hinein trieb, das uns zwang, zu Fuß vom Westend bis zum Dezernat zu gehen, stumm nebeneinander, eine Schleppe aus schweren fremden Schatten hinter uns herschleifend – nach diesem Gespräch, das alles veränderte, fingen wir von vorn an, ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand oder die momentane Verfassung der Zeugen, die wir von Kollegen im Streifendienst abholen ließen und so lange unter Druck setzten, bis sie kapitulierten. Mit geradezu kriminalistischer Besessenheit versuchten wir die Zeit zurückzudrehen und alte Fehler zu korrigieren.
    Ewald Sturm brachten die Kollegen wie einen Geistesabwesenden in das kleine Vernehmungszimmer im zweiten Stock. Martin hatte sämtliche Akten vor sich liegen, auf einem Block hatte er sich Fragen notiert, die er zu stellen auf keinen Fall vergessen wollte. An dem Platz, auf dem der jeweilige Zeuge sitzen sollte, stand ein Kassettenrecorder. Freya Epp sollte ebenfalls an den Vernehmungen teilnehmen und sich zusätzlich Notizen machen, auch über das Verhalten des Zeugen, seine Gesten und Ticks. Außer Mineralwasser gab es nichts zu trinken, wobei wir nicht damit gerechnet hatten, dass Ewald Sturm fast zwei Flaschen allein leerte.
    »Sie sind hier als Zeuge«, sagte ich. Sturm hatte die Gesichtsfarbe einer Sandbank, seine Augen waren winzig und bei jeder Handbewegung zuckten seine Finger.
    »Haben Sie mich verstanden?«
    »Waren wir nicht beim Du?«, brachte er heiser hervor.
    »Das waren wir gestern«, sagte ich.
    »Heute siezen wir uns.«
    Er hob die Hand. Dann zeigte er auf eine der Flaschen, ohne uns anzusehen, schraubte sie auf, goss ein Glas voll und trank es in einem Zug aus.
    »Wann begann Ihr Verhältnis mit Soraya Roos und wie lange dauerte es?«, fragte ich.
    »Spinnst du?« Er hob den Kopf und sah uns einen nach dem anderen an. Bei Freyas Anblick grinste er, verzog das Gesicht und blinzelte nervös. Es war fast Mittag, und Sturm hätte eigentlich genügend Zeit gehabt, seinen Rausch loszuwerden. Dennoch wirkte er benommen und schien einen Kater zu haben, den er, so schien mir, vor allem vor sich selbst verbergen wollte.
    »Wann hat Ihr Verhältnis mit Soraya Roos begonnen, Herr Sturm?«, fragte ich.
    »Das ist doch vorbei, Mann! Da war ich… das war…
    da war ich noch nicht mal dreißig, das ist doch vorbei! Denkst du, ich schreib mir jedesmal auf, wenn ich eine Frau ins Bett nehm, glaubst du, ich schreib mir das auf?
    Ich bin doch kein französischer Schriftsteller!« Er fasste sich mit beiden Händen an den Kopf und öffnete den Mund, ohne dass ein Laut herauskam.
    »Sie hatten ein Verhältnis mit ihr«, sagte Martin Heuer, der mit Freya am Tisch saß. Ich stand beim Fenster, schräg vor Sturm.
    »Und Sie waren nicht der Einzige. Und Franz Grosso war auch nicht der Einzige.« Sturm schenkte sich Mineralwasser ein und trank das Glas sofort aus.
    »Aber Sie waren am meisten hinter ihr her«, sagte Martin.
    »Am meisten?« Sturm kniff erst ein Auge zu, dann das andere, als überprüfe er seine Sehkraft.
    »Am meisten? Wie jetzt? Am meisten… ja und? Das ist doch… das hab ich doch gestern…« Er drehte den Kopf zur Tür, die geschlossen war.
    »Die zwei Typen… die zwei Bullen, die mich aus dem Bett geklingelt haben… dürfen die das, mich einfach anfassen? Der eine hat mir auf den Kopf geschlagen, voll

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