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Süden und das Geheimnis der Königin

Süden und das Geheimnis der Königin

Titel: Süden und das Geheimnis der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Musik durch und durch rein und verständlich. Vielleicht, dachte ich in diesem muffigen Zimmer, war diese Form der Einbildung ein göttliches Geschenk: Damit wir angesichts unserer winzigen Existenz vor solcher Kunst nicht verzweifeln, tröstet sie uns mit der Illusion, wir wären eins mit ihr. Und so, vielleicht, versöhnen wir uns eine Weile mit unserem täglichen Verschwinden.
    »Du störst meine Kreise«, sagte Wolfi.
    »Wo hat der Aroppa gewohnt, Wolfi?«
    »Frag den Charly, ich hab’s vergessen.«
    »Woher soll der das wissen?«
    »Der hat Ohren wie Wanzen, der kriegt alles mit.«
    Im Treppenhaus beschloss ich, mir eine CD mit einem Klavierkonzert von Mozart zu kaufen.
    Nach dem ersten Zwangsjägermeister legte ich die Hand auf das kleine Glas.
    »Einer geht noch«, sagte Karl Brick und hielt die Flasche bedenklich schief.
    »Nein«, sagte ich.
    »Einer geht noch.«
    »Nein.«
    Er schob den Rollstuhl an die Schmalseite des Tisches, stellte die Flasche hin und nahm noch einmal das Foto in die Hand.
    »Den kenn ich nicht«, sagte er zum dritten Mal. Ich stellte mich neben die offene Terrassentür, damit der Rauch, der im Zimmer hing, keinen Umweg machen musste.
    »Ist irgendwas?«, fragte Brick.
    »Nein«, sagte ich.
    »Meine Frau ist beim Einkaufen«, sagte er zum wiederholten Mal.
    »Die kennt den auch nicht.«
    »Er hat in Ihrem Lokal verkehrt«, sagte ich.
    »Möglich, aber ich kann mich nicht an jeden Gast erinnern.«
    »Er ist der Mann, mit dem Soraya Roos nach Italien gegangen ist.« Bisher hatte ich dem ehemaligen Wirt nur erklärt, wir würden nach dem Mann auf dem Foto im Zusammenhang mit dem toten Franz fahnden.
    Jetzt nickte Brick, verzog den Mund und legte das Foto auf den Tisch. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ dabei das Gesicht des Mannes nicht aus den Augen.
    »Aha«, sagte er.
    Ich schwieg. Er sah zu mir her, ruckte mit dem Rollstuhl und nickte wieder. Draußen zwitscherten Vögel, und es roch nach feuchter Erde.
    »Das ist er…« Brick inhalierte. Sein Kopf fiel auf die Brust, als würde er einschlafen. Sogleich schreckte er hoch.
    »Kenn ihn trotzdem nicht. Und das ist alles vorbei.«
    »Haben Sie Sorayas Vater je kennen gelernt?«, fragte ich.
    »Nein.«
    »Ihre Mutter?«
    »Nein.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ja.«
    Ich verabschiedete mich.
    »Ich glaube, Sie kennen den Mann.«
    »Dann sind Sie halt ein gläubiger Mensch.«
    Als ich von der Zennerstraße, wo die Bricks wohnten, in die Pognerstraße einbog, durch die ich zur Thalkirchener Brücke gelangen und von dort am Fluss entlang nach Hause gehen wollte, kam mir Annemarie Brick entgegen, mit zwei voll gepackten Einkaufstaschen.
    Ich zeigte ihr das Foto.
    »Was sagt mein Mann?«, sagte sie. Ich sagte: »Er hat ihn erkannt.«
    »Wie heißt er?« fragte sie.
    »Severino Aroppa. Er ist der Vetter von Franz Grosso.«
    »Aha«, sagte sie wie ihr Mann.
    »Der war dabei, ja«, sagte sie. Sie streckte den Rücken und stöhnte.
    Es war warm an diesem sechsten Juni, die Sonne schien, und die Cabrios fuhren mit offenem Verdeck. An der Isar sonnten sich schon einige Nackte, und Rauchschwaden von Grillfeuern zogen über die Auen.
    »Wissen Sie noch, wo er gewohnt hat?«
    »Ich hab ja nicht mal gewusst, wie er heißt!«, sagte sie.
    »Das ist der Mann, mit dem Soraya Roos nach Italien gegangen ist.« Allmählich kam mir der Satz wie ein Echo vor.
    »Mit wem ist der nach Italien?«
    »Mit Soraya, der Frau, über die wir gesprochen haben.«
    »Die kenn ich ja offiziell gar nicht.«
    »Sie wollen sich nicht an sie erinnern.«
    »Das ist dasselbe«, sagte sie.
    »Danke«, sagte ich.
    Sie nahm die schweren Taschen, stutzte und stellte sie wieder hin, vor ihre Schuhe, nebeneinander.
    »Wir hatten ab und zu Gäste, die haben in der ›Pension Waltraud‹ übernachtet, Vertreter, so Leute. ›Pension Waltraud‹ am Harras. Nicht weit von der S-Bahn.« Anstatt nach Hause zu gehen, fuhr ich mit dem Taxi nach Sendling.
    »Wie das Blümerl«, sagte die Frau, die weit über achtzig sein musste. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, eine Strickjacke und ein Kopftuch. Sie sprach so, dass ihre Zähne vollständig unsichtbar blieben.
    »Kennen Sie diesen Mann, Frau Veilchen?«, sagte ich und zeigte ihr das Foto.
    Sie schaute nur kurz drauf.
    »Freilich. Der war hier. Den kenn ich.«
    »Sie haben ja ein phantastisches Gedächtnis«, sagte ich.
    »Hat er was ausgefressen?«, sagte Stefanie Veilchen.
    »Er war nämlich sehr charmant. Ein Italiener halt.«
    »Sie sind

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