Süden und das Geheimnis der Königin
zähmen.
»Ein Erwachsener darf seine Kinder nicht in eine sexuelle Abhängigkeit bringen, das ist strafbar, das ist Unrecht und das ist jenseits jeglicher Moral.«
»Emanuel Roos ist anderer Meinung«, sagte ich.
»Dann ist er ein Verbrecher«, sagte Funkel.
»Du behauptest, die Tochter hat sich ihrem Vater freiwillig hingegeben«, sagte Martin.
»Und was die beiden verbunden hat, sei Liebe gewesen, Liebe wie zwischen einem fremden Mann und einer fremden Frau.«
»Ja«, sagte ich.
»So hat er es dargestellt. Du hast es selber gehört.«
»Wie soll er es denn sonst darstellen!«, sagte Funkel mit einer heftigen Geste, die beinah einen Passanten getroffen hätte, der sein Fahrrad an die Hauswand lehnte.
»Er hatte keinen Grund mir seine Geschichte zu erzählen«, sagte ich.
»Er hatte keinen Grund zu lügen. Nach all den Jahren.«
»Warum hat er es dann getan?« Funkel unterbrach das Stopfen seiner Pfeife und warf sie auf den Tisch. Dann stand er auf, zögerte, ging ein paar Schritte, kam zurück, setzte sich, kratzte sich an der Augenklappe und trank. Wir schwiegen.
»Soraya begehrte ihren Vater«, sagte ich.
»Und ich werde es beweisen. Ich werde sie fragen.«
»Inzwischen bist du dir sicher, dass sie noch lebt?«, sagte Martin. Er winkte dem Kellner und bestellt einen weiteren Ouzo und ein Bier.
»Wir haben diesen Fall so falsch eingeschätzt«, sagte ich.
»Warum sollte sie nicht mehr leben?«
»Und wo?«
»In diesem Dorf. In dem Dorf, wo Grosso gelebt hat und Aroppa immer noch lebt.«
»Und was macht sie da?«, fragte Martin.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich.
»Du weißt es nicht!«, sagte Funkel.
»Du weißt es nicht! Du verteidigst diesen Mann! Du hast nichts als seine Behauptungen. Du verteidigst einen Kinderschänder. Das ist meine Meinung und meine Auffassung zu diesem Thema. Du bist Polizist. Wenn auch nur ein Nebensatz von dem, was du hier sagst, an die Öffentlichkeit kommt, dann können wir uns beide im Arbeitsamt anstellen. Dann wird es heißen, ich hätte einen Pädophilen in meinem Dezernat geduldet!«
»Hältst du mich für einen Pädophilen?«, fragte ich. Funkel stopfte die Pfeife, zündete sie an, blies den Rauch zur Straße hin, wich meinem Blick aus, bis er genug davon hatte.
»Bist du einer?«
»Nein«, sagte ich.
»Da ist keine Liebe, und wenn du das nicht begreifst, tust du mir Leid. Dann hast du dich nämlich außerhalb der Gemeinschaft begeben, außerhalb von uns allen.« Er deutete mit dem Arm vage zu der Häuserfront auf der anderen Seite.
»Oder wir sind außerhalb der Liebe«, sagte ich.
Nachdem wir die Gläser leer getrunken hatten, saßen wir schweigend da und sahen dem alternden Licht zu, wie es unsere Schatten aufsammelte.
»Das wäre unvorstellbar«, sagte Martin.
»Außerhalb der Liebe zu sein.«
»Das sind wir auch nicht«, sagte Funkel, der sich zur Seite gedreht hatte und mich nach wie vor nicht ansah.
»Nein«, sagte ich.
»Aber dass ein Vater seine Tochter nicht begehren darf, ist eine unerfüllbare Forderung, sie ist unsinnig, genau wie das Zölibat.«
»Ich weigere mich, das eine mit dem anderen zu vergleichen«, sagte Funkel.
»Ich weigere mich nicht«, sagte ich.
»Wir sprechen von Begehren und von Liebe…«
»Man kann lieben, ohne zu begehren, du Neandertaler!«, sagte Funkel zur Straße hin.
»Aber wozu?«, sagte ich.
»Was ist dieses Lieben dann? Eine Simulation des Gehirns? Eine kontrollierte Gefühlsdosis? Eine Nettigkeit des Herzens?« Funkel wandte sich mir zu.
»Glaubst du, ein Priester muss ficken, um sich zu legitimieren, einen Kranken oder einen Verzweifelten zu lieben? Ist das deine Einstellung?«
»Nein«, sagte ich.
»Aber wenn es das Zölibat nicht gäbe, müsste die Kirche Priester, die Kinder missbrauchen, nicht zwanghaft beschützen wie kleine Sünderleins. Das ist Macht. Das ist Abhängigkeit. Das ist Gewalt. Ich spreche keine Männer frei, die ihre Kinder misshandeln und missbrauchen, und auch die Mütter nicht, die zusehen, ich verurteile sie alle und ich schwöre, ich verurteile sie härter als mancher Richter, vor den sie kommen, wenn sie überhaupt angeklagt werden. Aber ich weigere mich, darüber zu urteilen, welche Liebe die wahre ist. Ich weiß es nicht, und du weißt es auch nicht.«
»Falsch«, sagte Funkel.
»Ich weiß es.« Martin gab dem Kellner ein Zeichen, drei Biere und einen Ouzo zu bringen.
»Der Missbrauch der Priester an Kindern ist genauso abscheulich wie das, was Emanuel Roos und
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