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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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meiner Ausbildung war: zu lernen, zu welchem Zeitpunkt man die richtige Frage stellt, wie man nicht mehr damit aufhört Fragen zu stellen, wie man mittels Fragen Verdächtige überführt, sie so verwirrt, dass sie alles zugeben, was wir wissen wollen. Daran hatte ich mich nie gewöhnt.
    Auch einer der Gründe, weshalb Thon mich gelegentlich einen Risikofaktor im Team nannte.
    »Es gibt viel Schlimmeres als anschaffen gehen«, sagte Paula.
    »Und Max hat nie etwas mitgekriegt von Ihrem Verhältnis?«
    »Nach der Hochzeit bin ich erst mal weggezogen.«
    »Nach Neuperlach.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte sie.
    »Ich hab geraten. Haben Sie in der Nähe der ›Pension Sonne‹ gewohnt?«
    »Ja.«
    »Und Max und Paula haben Sie besucht.«
    »Ja.«
    »Was ist vor sechs Jahren passiert?«
    »Dasselbe wie jetzt«, sagte sie. Und es klang, als spräche sie von jemand anderem, von etwas, das weit zurücklag, als habe sie die Geschichte nur gehört, als habe sie nichts damit zu tun. Als wäre es ihr sogar lästig, sie weiterzuerzählen. »Er hat uns erwischt. Wie die Kinder. Damals war Winter, Max hatte nichts zu tun, im Winter läuft das Geschäft nicht gut, genauso wie im Hochsommer, ich weiß nicht, wieso. Er hat früher zugesperrt und ist einen trinken gegangen. Und dann kam er zurück, weil die Tochter des Wirts beim Schlittschuhlaufen verunglückt war und das Lokal deshalb sofort geschlossen wurde. Und Max geht nur ins ›Glockenbachstüberl‹ oder in den ›Rumpler‹. An diesem Tag war alles vereist, und er hatte keine Lust bis zum Stüberl zu gehen. Also kam er aus dem ›Rumpler‹ direkt nach Hause. Wir haben ihn nicht gehört. Er stand in der Tür, wie in einem Film, wir lagen im Bett, das Zimmer war gut geheizt, fünf Minuten später wären wir sowieso aufgestanden. Nur noch fünf Minuten. Da stand er also und hat uns angesehen, und er hat mir Leid getan. Ich hab gespürt, wie was zerbröselt ist in ihm. Ein Mann Anfang fünfzig, der gerade silberne Hochzeit gefeiert hat, findet seine Frau mit seiner Schwägerin im Bett. Das zum Beispiel, das ist schlimmer als anschaffen gehen.«
    Sie hob die Hände, rutschte im Sessel hin und her, sah ausdruckslos zu mir her. Auch sie trug eine unsichtbare Uniform. Aus Schnee vielleicht, der niemals taute in Anwesenheit von Fremden.
    »Haben Sie mit ihm geredet?«
    »Er hat sich umgezogen und ist gegangen. Und anscheinend kannte er keinen besseren Ort als die ›Pension Sonne‹. Es war lang her, dass ich dort gewohnt hatte, ich war nur drei Jahre in Neuperlach, dann bin ich hier eingezogen.«
    »Was ist passiert, als er ins Schlafzimmer kam?«
    »Nichts.«
    »Er hatte keine Fragen an Sie?«
    »Bestimmt hatte er Fragen«, sagte sie, »aber er hat sie nicht gestellt.«
    »Das ist unmöglich.«
    Sie sagte: »Spielt keine Rolle, ob Sie mir glauben.«
    »Und vor zwei Wochen hat er Sie wieder erwischt?«, sagte ich. »Wieder im Bett? Wieder zufällig?«
    »Nicht im Bett«, sagte sie. »Er war erkältet, er war krank, mitten am Nachmittag kam er aus seiner Werkstatt hoch. Ich hab gebadet, Lotte hat mit mir Tee getrunken. Wir haben nicht zusammen gebadet. Das hatten wir auch nicht vor. Es ist nichts passiert. Aber er hat das gedacht. Er hat mich in der Wanne gesehen und Lotte mit der Teetasse in der Hand, und er kam rein, und wieder ist etwas zerbröselt in ihm. Wie oft kann in einem etwas zerbröseln, bis es ihn selbst nicht mehr gibt? Wie oft?«
    »Oft«, sagte ich.
    Zum ersten Mal sah sie mir in die Augen. »Kann sein. Kann sein.«
    »Deshalb haben Sie auch darauf bestanden, dass wir ihn suchen. Weil Sie Angst haben, diesmal schafft er es, sich umzubringen.«
    »Ja«, sagte sie. Und ich wusste sofort, sie log. Diese Antwort war gelogen. Was bedeutete das?
    »Haben Sie immer noch Angst, dass er sich umbringt?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie.
    Und es klang vollkommen verkehrt. Ihr Tonfall passte nicht zu dem, was sie sagte. Oder täuschte ich mich? Versteckte sie sich bloß hinter dem Schnee? Dem Schnee, der auch ihre Zunge bedeckte? Ich brauchte dieselbe Antwort zum Vergleich.
    Ich sagte: »Lieben Sie Ihre Schwester immer noch?«
    »Ja«, sagte sie wieder.
    Entweder sie log auch jetzt, oder ich hatte mich verrannt. Beide Antworten klangen identisch. Ich fragte zu viel, ich fragte einfach zu viel.
    »Wann ist Max diesmal verschwunden? Montag vor einer Woche?«
    Was sollte ich tun außer fragen? Wir hatten eine Abmachung.
    »Am Sonntag«, sagte sie. »Am Sonntagnachmittag. Das

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