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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Martin. »Andy ist im Viertel unterwegs und fragt Leute auf der Straße und im Haus, in dem die Graukes wohnen.«
    »Weiß Thon davon?«
    »Nicht direkt.«
    Ich erzählte ihm, was ich erfahren hatte.
    »Damit haben wir nichts zu tun«, sagte Martin.
    »Ja«, sagte ich. »Aber wir wissen immer noch nicht, ob Grauke mit den zwanzigtausend Mark nicht doch jemandem ein Geschenk zum Abschied machen will.«
    »Zu wessen Abschied?«
    »Zu seinem Abschied«, sagte ich.
    Wir verabredeten, heute Abend essen zu gehen, eventuell mit unserer neuen Kollegin.
    »Ist Sonja zurück?«, fragte ich.
    »Grade gekommen, sie hat ernsthaft vor, nach Milbertshofen zu ziehen. Stell dir das vor! Von einer Hundertfünfundsechzig-Quadratmeter-Altbauwohnung in eine Achtunddreißig-Quadratmeter-Absteige für neunhundert Mark in der Kollwitzstraße. Das ist Masochismus.«
    »Oder Pragmatismus.«
    »Oder Hirnrissismus«, sagte er.
    Ich sagte: »Kennst du den Song I and I? «
    »Von Dylan? Natürlich. Wieso?«
    »Ich hab vorhin an ihn denken müssen«, sagte ich. Dann verabschiedeten wir uns.
    Martin Heuer war mein bester Freund, mein einziger Freund. Und ich brachte es nicht fertig, ihm von einem ungewöhnlichen Moment zu erzählen. Und jetzt war der richtige Zeitpunkt verstrichen. Wahrscheinlich hätte ich doch nicht die richtigen Worte erwischt. Wie Grauke in Gegenwart seiner Frau am vergangenen Sonntag.

13
    W egen der Rinderseuche gab es keinen Döner, also nahmen Martin und ich Lammspieß. Sonja hatte Schwertfisch bestellt, eines der besten Gerichte in der »Schwimmkrabbe«. Weil ich noch etwas vorhatte, trank ich Wasser, die beiden anderen tranken Bier. Wir saßen vor dem Lokal auf dem Gehsteig und sahen den Autofahrern dabei dazu, wie sie ebenso verzweifelt wie naiv in der Ickstattstraße einen Parkplatz suchten.
    »Kosten?«, fragte Sonja.
    »Nein«, sagte Martin schnell. Er konnte es nicht ausstehen, wenn er von einem Nebenteller probieren musste. Denn das bedeutete für ihn, dass er genötigt war, auch von seinem Teller etwas anzubieten, und das mochte er nicht.
    Martin Heuer gehörte zu den Menschen, die beim Essen ihre Ruhe haben wollen. Er redete nicht, er hörte nicht zu, er beugte sich vor und legte los. Er aß nicht schnell, aber auch nicht langsam, er aß zügig, als müsse er einen Plan einhalten, als folge er einem Ritual.
    »Wart ihr schon mal in Irland?«, fragte Sonja.
    »Nein«, sagte ich.
    Unerwartet schüttelte Martin den Kopf. Neben ihm lag eine Broschüre, die er aus einem Reisebüro mitgebracht hatte. Nicht, dass Martin oft verreiste. Er verreiste nie. Aber er las begeistert Reisebroschüren und Hefte, in denen fremde Länder, seltsame Gebräuche, enorme Abenteuer beschrieben wurden. In dem neuen Heft ging es um ausgefallene Perlenketten aus Neuseeland, Kolibris in Venezuela, Trekking in Tasmanien, Katzenfriseure auf Taiwan. Über Irland stand nichts drin.
    »Wir waren im Süden«, sagte Sonja. Dann schaute sie mich an.
    Ich sagte: »Wir sind nicht verwandt, die Himmelsrichtung und ich.«
    Zur Abwechslung bellte ein Hund. Anscheinend hatte Sonja den Eindruck, wir würden uns für ihren desaströsen Urlaub mit unserem Dezernatsleiter nicht interessieren. Nach einem schnellen Blick zu Martin und mir widmete sie sich wieder ihrem Essen, ohne den Faden noch einmal aufzunehmen. Ich hätte ihr zugehört.
    »Wie spät?«, fragte ich sie.
    »Zwanzig nach sieben.«
    In einer halben Stunde wollte ich aufbrechen. Ich hatte einen vagen Plan und eine vage Hoffnung. Möglicherweise musste ich diesen Fall in zwei Stunden endgültig abschließen, und wenn Maximilian Grauke allen Ernstes geplant hatte, für immer zu verschwinden, dann würde er das auch schaffen. Aus Erfahrung wusste ich, dass Menschen, die entschlossen waren, ein neues Leben an einem fernen Ort zu beginnen, selten scheiterten. Manche brauchten mehrere Anläufe, bei manchen ging etwas schief, sie kamen zurück, führten ihr vorheriges Leben weiter und erweckten den Anschein, sie hätten sich besonnen und würden ihre Nacht-und-Nebel-Aktion bereuen. Sie sammelten Kraft. Und neue Informationen.
    Und verfeinerten ihr Konzept, ihre List. Und dann, eines Tages, lag dieser Brief auf dem Tisch, im selben Wortlaut wie der erste, vielleicht mit dem Zusatz: »Sucht mich nicht, diesmal habt ihr keine Chance«. Und wieder brach für die Angehörigen eine Welt zusammen, eine Welt, deren Risse sie gerade notdürftig gekittet hatten.
    »Glaubst du, Grauke ist noch in der Stadt?«,

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