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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Wochenende hat er in seiner Werkstatt geschlafen, von Freitag bis Sonntag. Er ist nur hochgekommen, um sich zu waschen und umzuziehen. Am Sonntag wollte er anscheinend mit Lotte sprechen, aber dann hat er es nicht geschafft.«
    »Waren Sie dabei?«
    »Lotte hats mir erzählt. Erst hat er gesagt, er will jetzt reden, dann hat sie Tee gekocht, und dann hat er gekniffen…«
    »Was meinen Sie mit gekniffen?«
    »Was?«
    »Woher wollen Sie wissen, dass er gekniffen hat? Vielleicht fielen ihm die passenden Worte nicht ein. Oder er hat erwartet, dass seine Frau was sagt.«
    »Fragen Sie ihn, wenn Sie ihn finden.«
    Aus dieser Bemerkung hörte ich einen neuen Unterton heraus. Wie schon in dem Geschäft, in dem sie arbeitete, hatte ich den Eindruck, dass sie nicht besorgt war um Maximilian Grauke. Sondern wütend auf ihn.
    »Waren Sie bei ihm in der Werkstatt? Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Nein«, sagte sie.
    Und sie log wieder. Aber ich war mir nicht sicher, ob sie vielleicht doch die Wahrheit sagte.
    »Und am letzten Donnerstag kam er noch mal zurück. Was wollte er da?«
    Sie zögerte. »Vielleicht… vielleicht wollte er was sagen. Aber dann… dann hat er nur das restliche Bier aus dem Kühlschrank getrunken. Drei Flaschen. Und er hat keinen Ton gesagt. Keinen einzigen.«
    »Waren Sie dabei?«
    »Nein.«
    »Er hat bei uns angerufen und erklärt, er will nicht gesucht werden«, sagte ich. »Haben Sie…«
    Da bemerkte ich ihren Blick. Ihre Schwester hatte ihr nichts von dem Anruf erzählt. Überrascht, beinah erschrocken sah Paula mich an. Ich schwieg.
    Sie drückte die Hände in den Schoß. Ihr Körper krümmte sich, sie presste den linken Fuß gegen ihren rechten Unterschenkel, und es schien, als würde sie die Luft anhalten. Sie wollte um alles in der Welt nichts mehr sagen. Doch das Stillsein marterte sie.
    »Ich werde ihn weiter suchen«, sagte ich. Sie öffnete leicht den Mund. Als wolle sie abwarten, ob womöglich Worte heraussprudelten.
    »Wenn er allerdings mit der jungen Frau das Land verlässt, können wir nichts machen.«
    Paula lächelte. Ein schmales, unbeholfenes Lächeln, wie das ihrer Schwester.
    »Was für eine junge Frau?«, sagte sie.
    »Wir kennen sie nicht, er ist mit ihr gesehen worden.«
    »Wo?«
    »Vor der ›Pension Sonne‹.«
    »Er war wieder dort?«
    Jetzt war sie es, die fragte. Vielleicht gelang es mir auf diese Weise endlich, die letzten Türen zu öffnen.
    »Ein paar Tage«, sagte ich.
    Sie zögerte. Dann fragte sie: »Wer könnte die junge Frau sein?«
    »Eine Freundin«, sagte ich.
    »Das ist unmöglich«, sagte sie.
    Ich sagte: »Sie müssen mir nicht glauben.«
    Mit einer heftigen Bewegung erhob sie sich. »Mehr gibt es nicht zu sagen!«
    Ich fragte: »Warum haben Sie damals aufgehört, in der Nachtbar zu arbeiten?«
    Sie stützte sich auf dem Stuhl ab, über dem ihre weinrote Handtasche hing.
    »Das ist vorbei, das geht Sie nichts an.«
    Ich stand auf, nahm meine Jacke und sah zum Fenster hinaus. Die Luft war warm und staubig. Vor dem überdachten Eingang des Postamts keuchte eine alte Frau. Ihr Rauhaardackel hechelte. Beiden setzte die Sonne zu. Auf der Brücke in der Ferne tauchte eine Straßenbahn auf, blau glänzend. Auf dem Bürgersteig vor dem Antiquitätenladen standen Stühle aus dunklem Holz und eine Kiste mit alten Büchern.
    »Worauf warten Sie?«, hörte ich Paulas Stimme hinter mir.
    Ich drehte mich um.
    »Warum sagen Sie mir nicht alles?«, fragte ich. »Warum sagen Sie mir nicht, warum Max Grauke wirklich verschwunden ist?«
    »Ich habs Ihnen gesagt, und das wars. Und jetzt gehen Sie bitte!«
    Im Treppenhaus blieb ich stehen und betrachtete den grünen PVC-Belag auf den Stufen. Niemand, der dieses Haus betrat, würde darin eine Wohnung wie die von Paula Trautwein vermuten.
    Niemand, der seine Schuhe in der Schusterei Grauke abgab, käme auf die Idee, dass die Ehefrau des Schuhmachers eine Liebesbeziehung mit ihrer Halbschwester hatte. Grauke hätte so etwas nicht einmal nach dem achten Hellen für möglich gehalten. Bis vor sechs Jahren. Von einer der Telefonkabinen neben dem Posteingang rief ich im Dezernat an.
    »Erinnerst du dich an die Aussage der Zeugin aus dem Englischen Garten?«, fragte Martin.
    »Ja.«
    »Die Beschreibung der jungen Frau, die die Zeugin zusammen mit Grauke gesehen haben will, stimmt mehr oder weniger mit der überein, die der Bauarbeiter in Neuperlach Andy gegeben hat.«
    »Hilft uns das weiter?«, sagte ich.
    »Noch nicht«, sagte

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