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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gelehnt und von Hunden misstrauisch beäugt, bis zu diesem Moment hast du tatsächlich geglaubt, du hättest die Fähigkeit dich zu trennen: in einen nackten Mann im Zimmer und einen Uniformierten in der Öffentlichkeit.
    Und ich musste vierundvierzig Jahre alt werden und an einem vierzehnten Juli eine belanglose Strecke zurücklegen, um zu begreifen, wie lächerlich diese Einbildung war.
    I and I, wie der Meister sang, in creation where one’s nature neither honors nor forgives. Dann klingelte ich bei Paula Trautwein.
    Durch den grün gekachelten Hausflur mit der gelben Deckenverkleidung stieg ich in den ersten Stock hinauf. Die Tür, an der »Trautwein« stand, war geschlossen. Ich wartete.
    Dann öffnete eine Frau. Für einen Moment war ich verwirrt, ich hatte vergessen, wie klein Paula Trautwein war. Ohne den Kopf zu heben, sagte sie: »Ich lass Sie ungern rein.«
    Ich sagte: »Ich will nichts von Ihnen wissen, was mich nichts angeht.«
    »Weswegen sind Sie sonst hier?«
    »Sie haben Recht«, sagte ich.
    Immer noch sah ich zu ihr hinunter, sie aber vermied den Blick. Sie ließ mich eintreten und schloss die Tür. Die Hand auf der Klinke, hielt sie inne, als würde sie überlegen, mich wieder hinauszukomplimentieren. Ich rührte mich nicht.
    In der Wohnung war es kühl, sie war dunkel, wirkte aber nicht eng oder muffig. Und das lag nicht nur daran, dass es nur ganz wenige Möbel gab.
    Im Flur hingen drei Spiegel, umkränzt von kleinen kugelförmigen Lampen, die hell strahlten. Wenn man hinsah, wurde man nicht geblendet, vielmehr angezogen, sozusagen aufgefordert näher zu kommen. Also trat ich näher.
    Wortlos streifte Paula Trautwein an mir vorbei ins Wohnzimmer.
    Ich stand vor einem der Spiegel und sah mein Gesicht und die Hälfte meines Oberkörpers. Für Paula hingen die Spiegel viel zu hoch. Was ich sah, erschreckte mich nicht. Ich drehte mich um. Paula saß in einem schwarzen Ledersessel und beobachtete mich. Ich lächelte.
    Sie sagte auf die Entfernung: »Von mir aus brauchen Sie nicht abzunehmen.«
    Ich ging zu ihr. Das Zimmer wurde von einem teuren Regalaufbau aus Plexiglas dominiert. Auf den Regalen standen vereinzelt Gläser, Vasen, schmale Bücher, Kerzen. Der Raum war niedrig und ging zur Straße hinaus, aber die karge geschmackvolle Einrichtung verlieh ihm eine Atmosphäre, in der der Straßenlärm kaum störte. Zumindest solange unten nicht zwei Straßenbahnen gleichzeitig vorüberfuhren oder jemand ein Hupkonzert anzettelte.
    »Stellen Sie mir Ihre Fragen!«, sagte Paula Trautwein.
    »Ich werd nur auf das antworten, was Sie mich fragen, sonst nichts. Was Sie nicht fragen, erfahren Sie nicht.«
    Ich setzte mich auf die schwarze Ledercouch. Erst jetzt fiel mir der Parkettboden auf, der glänzte. In einer gewöhnlichen Umgebung hatte sich Paula Trautwein ihren eigenwilligen Stil bewahrt.
    Wie ihre Schwester bot sie mir nichts zu trinken an.
    »Warum ist Ihr Schwager vor sechs Jahren verschwunden?«, fragte ich. Ich hatte Lust, meine Lederjacke auszuziehen, aber ich wollte mich nicht bewegen.
    »Er hatte einen Schock«, sagte Paula Trautwein.
    Ich sagte: »Der Schock war so groß, dass er sich umbringen wollte.«
    Sie schwieg. Konsequent. Ich zog meine Jacke aus und warf sie über die Armlehne. Neben der Tür hing an einem Stuhl aus Plexiglas die weinrote Handtasche, die Paula bei unserer ersten Begegnung getragen und mit der sie dauernd herumgespielt hatte. Die Tasche hing so auffällig da, als habe Paula sie dort platziert, um mich an den Montagnachmittag zu erinnern.
    »Sind Sie und Ihre Stiefschwester ein Liebespaar?«, sagte ich.
    »Wir lieben uns, und ohne Lotte wär ich vor die Hunde gegangen«, sagte sie. Sie schlug die Beine übereinander und zog ihr blaues Kleid über die Knie. Manche Bewegungen und Gesten ähnelten denen ihrer Schwester. Vielleicht nicht deshalb, weil die beiden Frauen verwandt, sondern weil sie ein Paar und seit Jahrzehnten miteinander vertraut waren. »Wir mochten uns schon in der Schule, wir fühlten uns zueinander hingezogen, beide gleichermaßen.«
    »Und die Jungs?«
    »Jungs waren auch da. Lotte ist verheiratet, falls Sie das vergessen haben.«
    »Warum hat sie geheiratet, wenn sie Sie liebt?«
    »Sie liebte Max auch, und das Wichtigste war, dass sie mich nicht verließ. Das hätte ich nicht verkraftet, ich wär anschaffen gegangen, oder was Schlimmeres.«
    »Was ›was Schlimmeres‹?«, fragte ich. Fragen zu stellen, fand ich mühsam. Obwohl genau das ein Pfeiler

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