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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Grauke gebracht hat, wie heißt die? Ich habs vergessen.«
    »Welches Mädchen?«
    »Sie haben es erwähnt.«
    Sie klopfte mit der Hand auf ein Ende der Rolle. Die Plakate steckten fest.
    »Keine Ahnung. Die Elke?«
    »Ja«, sagte ich. »Elke. Wann kommt die wieder?«
    »Keine Ahnung.«
    Es war komisch mit anzusehen, wie diese kahlköpfige energische Frau mit einem Rohr aus Pappe kämpfte.
    »Vielleicht heute«, sagte sie mit gepresster Stimme.
    »Mittwochs arbeitet sie meistens nicht.«
    »Was macht sie denn?«, fragte ich.
    »Sie arbeitet bei einer Agentur, das ist weitaus besser als das, was sie früher machen musste. Sie können ihr nichts anhängen.«
    »Ich will was über Grauke wissen«, sagte ich, »nicht über das Mädchen. Vielleicht krieg ich die Plakate da raus.«
    »Zu spät!«, rief sie.
    Die Plakate rutschten heraus und verteilten sich auf dem Boden.
    Bis zur Wohnung von Paula Trautwein brauchte ich zehn Minuten. Bis ich ihr jedoch in ihrem Wohnzimmer gegenüberstand, vergingen weitere fünfunddreißig Minuten.
    Vor der Haustür hatte ich mich plötzlich nicht entschließen können zu klingeln.

12
    W as sollte ich noch erfahren? Und wozu? Mit Graukes Anruf, der noch dazu unter Zeugen stattgefunden hatte, waren die Ermittlungen beendet. Er bat darum, nicht gefunden zu werden, und das hatten wir zu akzeptieren. Solche Anrufe erhielten wir oft. Zuletzt von einer Frau, die ihren Lebensgefährten verlassen hatte, ohne ihm ein Wort zu sagen. Er erstattete Anzeige, und als wir nach einer Woche immer noch keine konkrete Spur hatten, ließen wir ihr Bild veröffentlichen. Am nächsten Tag rief sie an und forderte uns auf, sie in Ruhe zu lassen. Ich bat sie, einen Brief zu schreiben, in dem sie erklärte, dass sie gesund sei, und das tat sie dann. Natürlich legte ich den Brief unseren Grafologen vor, die nicht lange brauchten, um sicher zu sein, dass er ohne äußeren Druck geschrieben worden war. Die Frau wollte ein neues Leben beginnen, und niemand hatte das Recht, sie daran zu hindern.
    Was wollte Maximilian Grauke? Mit einer jungen Frau in einem weißen Panda durchbrennen? Wohin? Mit zwanzigtausend Mark im Gepäck? Und wenn es so war, was ging es mich an? Und wenn seine Frau und seine Schwägerin ein für ihn unerträgliches Verhältnis miteinander hatten, was hatte ich damit zu tun?
    Die einzige Erklärung, die ich auf die Frage, wieso ich unbedingt mit Paula Trautwein sprechen wollte, vorbringen hätte können, wäre gewesen: Neugier.
    Nein. War ich neugierig? Warf ich gern Blicke durch Schlüssellöcher, wie bestimmte Journalisten? Nutzte ich meine Autorität als Polizist dazu, Intimitäten zu erfahren und in fremden Kellern herumzuschnüffeln? Verschafften mir all die gestotterten Erklärungen, durchschauten Lügen und armseligen Vertuschungsversuche eine spezielle Art der Befriedigung? Fühlte ich mich gut hinterher? War ich stolz auf mich? Wollte ich gelobt werden?
    Nichts davon. Natürlich war ich neugierig. Natürlich erfuhr ich Dinge, von denen nicht einmal der Hausarzt wusste. Natürlich gab es Momente, in denen Menschen mir ihren letzten Rest Hoffnung anvertrauten, Eltern verschwundener Kinder zum Beispiel, und ich war mir dann meiner Wichtigkeit bewusst. Auch meiner Ohnmacht. Aber auch meiner Wichtigkeit. Und sogar gelobt wurde ich gelegentlich. Und ich freute mich dann und hatte die Freude doch schnell wieder vergessen.
    Vor der Haustür in der Fraunhoferstraße Nummer 29, neben dem Friseursalon und der Einfahrt zum Rückgebäude, überwältigte mich der Gedanke, dass alles, was ich tat, ausschließlich mit der Vorstellung zusammenhing, die ich von meinem Leben hatte. Nicht von meinem Beruf. Von meinem Leben. Ich war Polizist, aber das war nur eine Uniform, eine, die man nicht sah, und zum Glück erst recht keine grüne. In dieser Uniform verdiente ich mein Geld, in dieser Uniform hatte ich eine Funktion, eine Aufgabe, eine Verantwortung.
    Ich gab mir jedenfalls Mühe.
    Doch wenn es totenstill war und niemand meine Nähe belagerte, wusste ich, dass ich nichts war als ein Mann, der sich zu viel auf seine Einsamkeit einbildete und manchmal die Kontrolle über seinen Hormonhaushalt verlor.
    Im Grunde diente mir mein Beruf dazu, mich auszuhalten. Das war es, was ich an der Ordnung schätzte, zu der er mich zwang: Solange ich meiner Arbeit nachging, hatte ich einen Weg, wenn auch kein Ziel. Würde ich damit aufhören, blieben nur die Wände. Warum eigentlich nicht?
    Ja, dachte ich, an die Hauswand

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