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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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billig, in Blau und Rot. Und natürlich der Bach, der Westermühlbach hieß. Der Glockenbach war wie die übrigen Bäche längst zugeschüttet worden.
    Statt der Holzarbeiter und Glockengießer lebte und wohnte heute hier der zweite Lebensabschnitt, jene Abteilung dieses Abschnitts, die nicht bei Aldi einkaufte. Oder erst recht. Wenn demnächst der dritte Lebensabschnitt sein Domizil bezog, war die Münchenisierung auch dieses Viertels endgültig abgeschlossen. Manchmal sehnte ich mich nach einer anderen Stadt. Dann fiel mir keine ein.
    Ich blieb in meinem Zimmer, unabhängig davon, wem ich die Miete bezahlte.
    »Kennen Sie den Herrn Grauke?«, fragte ich die Bedienungen in der Gaststätte ›Faun‹. Sie kannten ihn nicht.
    »Den Schuster, freilich«, sagte die Verkäuferin in der Bäckerei. »Aber der hat zu, das ist blöd, weil mein Mann hat seine Schuhe dort, die leichten fürn Sommer, und die tät er brauchen.«
    »Seit wann ist zu?«
    »Mindestens eine Woche«, sagte die Frau. »Was ist heut? Montag, freilich, man wird ganz blöd vor lauter Hitze, Montag. Ja, letzte Woche am… Dienstag war mein Mann dort, am Dienstag arbeit ich nicht, da war er dort und hat dann zu mir gesagt, da ist zu, und er hat jemand getroffen, der hat gesagt, gestern war auch schon zu. Dann war er noch mal am… Donnerstag… am Freitag da, und da war auch zu.«
    »Kauft der Herr Grauke bei Ihnen ein?«
    »Nein, seine Frau. Er sitzt in seiner Schusterei Tag und Nacht, der geht nicht einkaufen, das macht alles seine Frau. Oder seine Schwägerin.«
    »Wohnt die auch hier?«
    Sie sah mich an. Eine Kundin kam herein.
    »Sind Sie von der Steuerfahndung?«, fragte die Verkäuferin.
    Die Kundin verließ den Laden wieder. Ich schaute ihr hinterher. Sie drehte sich um und verschwand in der Hans-Sachs-Straße.
    »Warum?«, sagte ich.
    »Glauben Sie, der Grauke hat je einen Pfennig Steuern in seinem Leben bezahlt?«, sagte die Verkäuferin.
    »Das geht mich nichts an«, sagte ich. Sie sagte: »Aha.«
    Ich kaufte eine Breze.
    »Ofenfrisch«, sagte die Frau.
    Ofenfrische Brezen sind eine Geschmacklosigkeit.
    »Ich bin Polizist, Herr Grauke ist verschwunden.«
    »So ein Schmarrn«, sagte die Frau. Sie hatte kurze schwarz gefärbte Haare und schien den dritten Lebensabschnitt fast erreicht zu haben.
    »Stimmt wahrscheinlich«, sagte ich. »Aber er ist weg.«
    »Der geht doch nicht weg! Wo solln der hin? Wenn der nicht auf seinem Schemel sitzen und vor sich hin brummen kann, geht er ein wie eine Primel. Verschwunden! Der ist irgendwo ein Bier trinken, sonst nix.«
    »Eine Woche lang?«
    »Bei der Hitze kriegt man schon einen Durst!«, sagte die Frau.
    Ich nickte. Ich hatte einen Brezenklumpen im Magen. Fühlte sich an wie ein ganzer Ofen.
    »Haben Sie ihn in letzter Zeit gesehen?«
    »Ich nicht.«
    »Ihr Mann?«
    »Glaub ich nicht. Doch! Als er seine Schuhe abgegeben hat. Heut vor einer Woche… nein, heut vor zwei Wochen. Vor zwei Wochen.«
    Während ich die Jahnstraße zum fünften Mal hinunterging, dachte ich an den brummenden Mann auf seinem Schemel. Er hockte da, nähte, hämmerte, klebte, stellte die fertigen Paare ins Regal, nahm neue entgegen, brummte, kassierte, nähte weiter. Und trank zwischendurch Bier. Und von einem Tag auf den anderen hörte er damit auf. Ließ die verrosteten Rollos herunter und trollte sich. Und kehrte noch einmal zurück. Um was zu tun? Um zwei Fernets und mehrere Biere zu trinken?
    Er hatte seine Frau besucht. Wieso hätte sie sonst ausgerechnet am Donnerstag aufs Revier gehen sollen? Und nicht am Mittwoch. Oder bereits am Dienstag. Er besuchte seine Frau. Und seine Schwägerin. Die war dabei, das war klar. Was wollte er von ihnen? Sich verabschieden?
    Oder hatte er sich schon verabschiedet gehabt? War er zurückgekehrt, um zu bleiben? Und dann war etwas passiert? Was? Und wann? Nachdem er im ›Glockenbachstüberl‹ war? Oder davor? Hatten die beiden Frauen etwas damit zu tun? Was, wenn sie trotzdem Anzeige erstatteten?
    Beim Spielplatz gab es eine Telefonzelle.
    »Ich bins.«
    »Hallo, Kollege Süden.«
    »Was hat Thon gesagt?«
    »›Ich habs Ihnen doch gesagt‹, hat er gesagt. Ich hab mich nämlich vor unserem Treffen ein wenig über Sie erkundigt und…«
    »Ja?«
    »Er hat mir bestätigt, dass Sie… Eigenarten haben.«
    »Sie nicht?«
    »Hm… welche?«
    »Sie stellen Ihr Mineralwasser nie in den Kühlschrank.«
    »Das ist keine Eigenart, das ist eine Angewohnheit.«
    »Stimmt wahrscheinlich.«
    »Stimmt

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