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Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels

Titel: Süden und das Gelöbnis des gefallenen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sicher.«
    Sie sagte mir, was ich wissen wollte, dann setzte ich meinen Schauweg fort.
    In unmittelbarer Nähe von Haus Nummer 48 befanden sich das »Ragazza«, ein Treffpunkt für Mädchen und junge Frauen zwischen zehn und fünfundzwanzig Jahren, und das »Frauencafe«. Beide hatten geschlossen. Daneben war das griechische Lokal »Anti«, eine der Kneipen, bei denen man hinterher nicht nur seine Kleider, sondern sich selbst über Nacht auslüften muss. Ich war einmal mit Martin dort gewesen, wir hatten gut gegessen und noch besser getrunken, aber der fünfte Ouzo veränderte vorübergehend unsere Persönlichkeit. Wir fingen an Sirtaki zu tanzen, wir schwangen unsere Beine wie Cancantänzerinnen und grölten die Melodie. Irgendwann kamen zwei Grüne herein und forderten den Wirt auf, die Musik leiser zu stellen. Ich wankte nach draußen, stolperte und knallte mit dem Gesicht auf die Kühlerhaube des Streifenwagens. Einer der Grünen half mir auf. Wir kannten uns nicht.
    »Ist noch zu«, sagte ein junger Grieche.
    »Hier ist viel zu«, sagte ich.
    Er nickte und trug zwei Kisten mit Orangen ins Lokal, dessen Tür angelehnt war. Ich folgte ihm. Obwohl keine Gäste da waren, roch es nach Rauch und Fett. Ich bekam sofort Hunger.
    »Sind Sie Kunde bei Herrn Grauke?«, fragte ich den jungen Mann, der die Orangen in den Ausguss kippte.
    »Ja, manchmal. Wer sind Sie?«
    »Polizei.«
    »Was passiert?«
    »Grauke ist verschwunden.«
    »Hab mich schon gewundert, warum die ganze Zeit zu ist.«
    »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
    »Lang her. Was ist mit seiner Frau? Ist er wegen ihr weg?«
    »Warum?«
    »Haben Sie die schon mal lachen sehen? Oder ihre Schwester? Da wirds finster, wenn die hier reinkommen.«
    »Sie essen bei Ihnen?«
    »Unser Essen ist gut.«
    »Das weiß ich.«
    »Ja«, sagte er, »die kommen schon mal, sitzen da vorn bei der Treppe, trinken Retsina und essen Gyros. Einmal im Monat.«
    »Und der Mann?«
    »Der Mann! Der Mann kaut Leder.«
    Der Mann kaut Leder, sagte ich vor mich hin, als ich zurück zur Schusterei ging. Der Mann kaut Leder, die Frauen essen Schweinefleisch und trinken Wein. Ich setzte mich auf die Steinschwelle vor der Tür, auf den ausgebleichten Fußabstreifer. Zog meine Lederjacke aus, legte sie über die Knie.
    Guter Ort. Schatten. Kühle, die aus den Steinen strömte. Zwei Kinder kamen vorbei, zwei Jungen, ungefähr neun Jahre alt. Der eine trug ein Einkaufsnetz mit einem Fußball darin, der andere eine Schachtel mit Mohrenköpfen. Sie blieben stehen und schauten zu mir herunter.
    »Warten Sie auf den Schuster?«
    »Ja.«
    »Der kommt nicht«, sagte der mit der Schachtel.
    »Kann ich einen Mohrenkopf haben?«, sagte ich.
    »Mohrenkopf sagt man nicht, das ist rassistisch.«
    »Wer sagt das?«
    »Meine Mama.«
    Als ich im ersten Lebensabschnitt war, hatten wir ein Wort wie rassistisch nicht im Repertoire. Und unsere Eltern auch nicht. Mein Vater sagte immer nur: Die dämlichen Schlesier, die dämlichen Schlesier. Er und meine Mutter waren aus dem Sudetenland geflüchtet.
    »Kann ich trotzdem einen haben?«, fragte ich.
    »Das ist eine Kühlbox«, sagte der Junge und klappte den Deckel auf. Er nahm einen Mohrenkopf heraus und hielt ihn mir hin. »Und das ist ein Schokokuss.«
    Ich biss rein.
    »Schmeckt wie ein Mohrenkopf«, sagte ich.
    »Man sagt danke«, sagte der Junge. Ich sagte: »Danke.«
    Und verschlang den Kuss. Der Junge mit dem Ball sah mir dabei zu. Über seinem linken Auge war eine Narbe.
    »Wo ist der Schuster?«, fragte ich.
    »Der kommt nicht mehr«, sagte der Junge mit der Schachtel.
    »Der ist gestorben«, sagte der Junge mit dem Ball.
    »Woher weißt du das?«
    »Von meiner Mama.«
    »Seid ihr Brüder?«
    »Spinnst du?«, stieß der Junge mit dem Ball hervor.
    »Wieso ist der gestorben?«
    »Meine Mama sagt, für sie ist der gestorben.«
    Ich leckte mir die Lippen. Es fiel mir schwer, nicht um Nachschub zu bitten.
    »Die hat ihre Schuhe bei dem und kriegt sie nicht wieder.«
    Der Junge machte ein strenges Gesicht.
    »Die hat doch hundert Paar!«, sagte sein Freund.
    »Du hast voll null Ahnung!«, sagte der andere und ging weiter.
    »Tschüss«, sagte der Junge mit der Schachtel.
    »Das heißt servus oder ciao«, sagte ich. Er sagte: »Bist du meine Mama?«
    Mein Blick fiel auf meine Stiefel. Sie waren schmutzig. Ich wartete.
    Ich wollte nicht mit beiden Frauen sprechen. Eine Stunde verging. Ich stand auf, überquerte die Straße und lehnte mich an die gelbe Mauer

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