Süden und das grüne Haar des Todes
nicht. Die Ruth hat gewusst, was mit dem Daniel und seiner Familie passiert ist, dass die verbrannt worden sind in einem Ofen, das haben wir nämlich gewusst, du auch, selbst wenn die Leute nach dem Krieg behauptet haben, sie hätten von nichts gewusst. Wir haben das genau gewusst. Ja. Und Ruth hat sich geschämt. Hast du eine Ahnung, wie ein Kind sich schämen kann? Du bist ja nicht dumm, du weißt das schon. Und dann war der Krieg fast aus, und dann ist es passiert. Heut ist Sonntag, und ich geh normalerweise um diese Zeit in die Kirche, und ich will mich nicht versündigen, weil, Gabriel hat es versprochen. Dass der Bericht von Ruth sein Geheimnis bleibt, unser Geheimnis, aber hauptsächlich seins. Es ist ein Geschenk, ein heiliges Geschenk, auch wenn du das nicht verstehst, Emmi. Sie hat sich versteckt, am Anfang nur aus Übermut und Angst auch, dann hat die Scham sie überwältigt, und aus der Scham und der Schuld ist sie nicht mehr rausgekommen, bis dass der Krieg zu Ende war und die neue Zeit begonnen hat. Und dann ist sie in der Scham und der Schuld stecken geblieben. Es war der Gabriel, der ihr geholfen hat in der entscheidenden Phase, wie genau, das sag ich nicht, und wenn ich dafür ins Gefängnis müsst, das sag ich nicht. Und so hat sie weitergelebt, ganz in der Nähe, und sie wollt ihre Ruhe, sie wollt für sich sein . Sterben wollt sie, und einmal wär es ihr fast geglückt, sie hat einen Herzanfall gehabt, auf offener Straße. Aber da kam ein Mann daher und hat sie gerettet, hat sie ins Krankenhaus gebracht. Und ich sag dir, Emmi, sie hätt sich umgebracht, wenn sie die Kraft gehabt hätt, und den Glauben, dass die Scham und die Schuld dann aufhören . Aber sie war überzeugt, sie muss das Leben führen und arbeiten und eine falsche Identität haben und alles abbüßen, den Verrat und das Feigsein. Sie hat sich doch immer für so feig gehalten. Dabei war sie doch bloß ein Kind gewesen. Ein Kind. Jetzt sag ich nichts mehr, weil dann wär ich eine Verräterin, und ich weiß gar nicht, ob ich das nicht schon bin. Mein Mann darf davon nie was erfahren. Nie und nie und nimmer.«
»Das wird er nicht«, sagte ich.
Gierig trank Maria Seberg das Wasser, sie hielt das Glas mit beiden Händen fest und blickte vor sich hin .
Niemand sagte etwas. Bis Max Bregenz laut ächzte und schwerfällig den Kopf drehte, um seine Frau anzusehen .
»Der Schmarrn-Beni«, sagte er. »Wenn er die Ruth nicht wollt, wen dann? Wen denn sonst?«
Maria Sebald umklammerte das kleine Glas wie eine Monstranz und schloss die Augen .
Mit einer sanften Geste strich Emmi Bregenz ihrem Mann wieder über die Glatze. »Mich«, sagte sie .
»Dich?« Es hörte sich an, als fange er an zu lachen. »Und weiter? Und?« Ruckartig wandte er den Kopf ab .
Nach längerem Schweigen sagte ich zu Emmi Bregenz:
»Und Sie? Mochten Sie ihn auch?« Ich erinnerte mich an das Gespräch in Gegenwart ihrer Tochter Lore und deren Bemerkungen über ihren Vater.
»Freilich«, sagte sie. »Ich mocht ihn auch, ich ihn auch.«
»Meine Frau haben viele gemocht«, sagte Max Bregenz zu mir. »Fesch war die. Ich hab das ausgehalten, ich hab auch nichts anbrennen lassen. Und als sie schwanger war von einem Kerl, der nichts von ihr wollt, hab ich gesagt, wir heiraten, dann ist die Sache legal und fertig. Haben wir dann auch gemacht.«
»Kennt Lore ihren richtigen Vater?«, sagte ich .
»Nein«, sagte Max Bregenz.
»Nein«, sagte Emmi Bregenz .
»Doch«, sagte Maria Seberg.
Die kräftige Hand seiner Frau drückte so fest zu, dass Max einen kehligen Laut von sich gab .
»Sie hat eine Vermutung gehabt«, sagte Maria Seberg .
»Und eines Tages ist sie vor unserer Tür gestanden. Ich weiß nicht, wie sie draufgekommen ist, Emmi, niemand hat jemals drüber gesprochen. Vielleicht hat sie als Kind was aufgeschnappt, sie ist ja ein waches Mädchen gewesen. Und sie hat uns dann versprochen, still zu sein, gegenüber euch vor allem, gegenüber allen. Das hätt niemals rauskommen dürfen, verzeih mir, Max, ich bitt dich, warum hab ich das gesagt? Warum hab ich das getan?«
»So ein Schmarren!«, schrie Max Bregenz und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Und wieso hat der dich dann nicht geheiratet?« Er schüttelte die Hand seiner Frau von der Schulter. »Wieso nicht? Antwort! Deine Tochter hat Recht, du bist ein Lügenbiest! So ein Lügenbiest!« Er schlug noch einmal auf den Tisch, dann wollte er aufstehen, doch seine Frau blieb hinter seinem Stuhl stehen, und er
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