Süden und das grüne Haar des Todes
hatte keine Chance, sie wegzuschieben .
»Er hat nicht gewusst, dass Emmi schwanger ist«, sagte Maria Sebald und öffnete die Augen, und sie waren nass .
»Sie hat es ihm erst viel später gesagt. Er ist ja schon mit mir zusammen gewesen, und er hat mir schon die Ehe versprochen gehabt. Er hats erst erfahren, als wir schon lang verheiratet waren. Vergib uns allen, Max! So wie wir alle Ruth vergeben müssen, weil sie die Familie des kleinen Daniel damals bei dem Nazi Schmittke angeschwärzt hat. Und ich weiß nicht, wo Ruth jetzt ist. Bestimmt ist sie in Sicherheit. Sie ist verreist. Ich hätt sie gern gesehen. Ich hätt ihr gern gesagt, dass sie keine Schuld hat, dass sie bloß ein Kind gewesen ist, sie hätt nicht ihr Leben lang Buße tun müssen. Hätt sie nicht müssen, hat der Gott nicht von ihr verlangt, bestimmt nicht. So was verlangt der Gott nicht. Gell?«
Acht Tage später erschnüffelte ein Hund ihre Leiche.
13
D er Kopf hatte sich zwischen zwei kantigen Steinen mit einem Durchmesser von jeweils fast einem Meter verkeilt und das reißende Wasser die Arme so vertrackt um eine Wurzel geschlungen, dass der Körper hängen geblieben war, seltsamerweise mit dem blauen Mantel und den Schuhen. Am Kopf, am Handrücken, an den Füßen und an den dunkelbraunen Halbschuhen stellte der Pathologe Schleifspuren fest. Seinen Untersuchungen zufolge war die alte Frau, deren Haut sich trotz der Bluse, des Mantels und des Faltenrocks zum größten Teil abgelöst hatte, drei bis vier Wochen im Wasser gelegen .
Die Narbe am Kinn war nicht mehr hundertprozentig nachzuweisen. Dagegen entdeckte Dr. Silvester Ekhorn keine Hinweise auf Gewalteinwirkung, also auf ein Verbrechen, auch wenn er mehrere subdurale Hämatome diagnostizierte, die er auf einen Sturz zurückführte, dessen Ursache zu rekonstruieren uns jedoch nicht gelang .
Das bedeutete, die Frau war entweder Opfer eines Unglücks und hatte sich aus eigener Kraft nicht mehr aus den Fluten befreien können. Oder sie war freiwillig ins Wasser gegangen.
In der Innentasche des Mantels steckte eine Ledermappe mit einem aufgeweichten, nahezu unleserlich gewordenen Reisepass, in dem sich ein handbeschriebener Zettel befand. Dessen Text konnten auch die Spezialisten beim Landeskriminalamt nicht mehr entziffern, abgesehen von den Bruchstücken einer Telefonnummer, deren Besitzer ich schließlich, nach einundfünfzig Fehlversuchen, ausfindig machte. Es handelte sich um einen Rechtsanwalt in Oberföhring, der auf meine Erklärung hin, eine gewisse Babette Halmar sei verstorben, erwiderte: »Ah ja? Dann sind Sie bei mir richtig.«
Ich fragte ihn, was er damit meine, aber er war auf dem Weg zu einem Gerichtstermin, und wir vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag.
Und dank eines Gebissschemas, das wir von einem Ismaninger Zahnarzt besorgten, und einer DNA-Analyse, die der Gerichtsmediziner mit Hilfe von Haarresten aus der Wohnung durchführte, stellten wir die letzte Gewissheit her. Obwohl wir sowieso nicht davon ausgegangen waren, dass die Tote mit dem abgeschleiften Gesicht den Pass einer anderen Frau bei sich getragen haben könnte .
Auf eine Identifizierung der entstellten Leiche von Ruth Kron alias Babette Halmar durch Angehörige verzichteten wir, schon allein deshalb, weil weder Schwester noch Schwager die Frau als Erwachsene gekannt hatten .
Ich schickte einen Vermisstenwiderruf ans Landeskriminalamt und telefonierte anschließend – am Donnerstag, dem siebenundzwanzigsten April, drei Tage nachdem ein Basset seinen Durst in der Isar gelöscht hatte – mit dem Ehepaar Seberg, um ihnen die traurige Nachricht mitzuteilen.
»Dann müssen Sie herkommen«, sagte Maria Seberg. »In dem Bericht von der Ruth steht nämlich auch drin, was zu tun ist, wenn sie stirbt.«
Nach meinem Besuch Am Lilienberg hätte ich den Termin beim Anwalt in Oberföhring eigentlich absagen können.
Das Testament umfasste drei Seiten, in akkurater, sauberer Schrift, klare, gerade Buchstaben, mit blauer Tinte geschrieben. Ich musste sofort an die Kleckse auf der Tischdecke in dem grünen Haus denken. Der Name der Unterzeichneten lautete Babette Halmar, niedergeschrieben hatte sie ihren letzten Willen am einunddreißigsten Dezember des vergangenen Jahres .
»Der Anwalt hat das gleiche Schriftstück«, sagte Gabriel Seberg, der, in einen beigen Frotteemantel gehüllt und auf einen Stock gestützt, mit seiner Frau und mir am Wohnzimmertisch saß, vor sich, wie wir beide auch, ein
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