Süden und das grüne Haar des Todes
das so wollte. In einer Pension. Ich hab davon nichts gewusst, erst hinterher.«
Auf dem kahlen Kopf von Max Bregenz bildeten sich Schweißtropfen. Seine Frau legte ihm die Hand auf die Schulter und starrte aus ihren großen dunklen Augen auf die magere Frau.
»Sie hat ihm eine Mappe mit einem Bericht übergeben, in dem steht, wieso sie die ganzen Jahre so gelebt hat, wie sie gelebt hat. Mein Mann …« Ihr Kopf zuckte, und mit einer hastigen Geste fuhr sie sich über die Stirn und schob die Haare beiseite. »Mein Mann war die Liebe von Frau Kron . Aber er hat sich für mich entschieden, und Frau Kron hat das akzeptiert, und zwar von Anfang an. Warum sie …«
»Warum …«, sagte Emmi Bregenz laut und drückte die Schulter ihres Mannes nach unten. Vor Schmerz verzog Max Bregenz das Gesicht, gab aber keinen Laut von sich .
»Warum hat sie das getan? Sie hat in Ismaning gelebt, fünfzig Jahre lang? Fünfzig Jahre, und sie hat uns in dem Glauben gelassen, dass sie tot ist? Du spinnst doch! Wieso sagst du so was? Sie müssen ihr das verbieten, Herr Kommissar! Schreiben Sie das nicht auf, was die da sagt! Das ist doch eine Lüge!«
»Es ist keine Lüge, Emmi«, sagte Maria Sebald und zog ihren grauen Popelinmantel gerade, den sie nicht hatte ausziehen wollen, wie auch Emmi Bregenz ihren dunklen Mantel und Max Bregenz seine Wildlederjacke mit dem Pelzkragen anbehalten hatten. »Deine Schwester hat ihre Gründe gehabt, die stehen alle in dem Bericht, sie hat zwanzig Jahre damit rumgetan, sie hat sich nicht getraut, was aufzuschreiben. Am liebsten hätt sie alles vergessen . Aber das … das war ihr nicht vergönnt, das Vergessen …«
Sie verstummte.
Erika Haberl tippte noch ein paar Sekunden in ihren Laptop, dann war es bis auf das Sirren der Neonröhre an der Decke still.
»Wo ist Ruth Kron?«, sagte ich .
Ich bekam keine Antwort.
»Frau Seberg«, sagte ich. »Wissen Sie, wo sich Ruth Kron aufhält?«
Wieder reagierte sie nicht. Und noch ehe ich einen Schritt tun konnte, ließ Emmi Bregenz die Schulter ihres Mannes los, trat auf Maria Seberg zu und gab ihr eine Ohrfeige, deren klatschendes Geräusch die Sekretärin aufschreien ließ.
»Tschuldigung«, sagte Erika Haberl sofort und vergaß in der Aufregung den Vorfall zu notieren .
Nachdem sie, von heftigem Schnaufen durch die Nase begleitet, mit zusammengepressten Lippen reglos verharrte, schob die korpulente Frau den Bauch vor und drückte ihr Kinn auf die Brust. Dagegen schien Maria Sebergs weiches Gesicht stilles Verzeihen auszudrücken .
Der mit wütender Kraft ausgeführte Schlag schien sie nicht zu erschüttern. Mich hatte sie, seit sie begonnen hatte zu sprechen, noch kein einziges Mal angesehen, nur Sonja und die Protokollantin .
»Sie ist tot!«, sagte Emmi Bregenz und straffte die Schultern. »Sie ist umgekommen, und das war ihre Strafe. Und jetzt halt dich für alle Zeit aus unseren Angelegenheiten raus! Hast du mich verstanden, Maria? Was damals war, ist vorbei! Die alten Geschichten liegen begraben unter der Erde, und da sollen sie bleiben. Und das weißt du!«
Nicht als Zustimmung, so schien mir, sondern weil sie nicht widersprechen und lieber still sein wollte, nickte Maria Seberg. Und während die Frau vor ihr, in deren Gegenwart sie noch kleiner und zerbrechlicher wirkte, weiter Worte auf sie niederprasseln ließ, legte sie die Hände auf den Tisch und faltete sie. Ihr Blick ruhte auf dem Tisch, auf den Plastikflaschen mit Wasser und den Gläsern, die Sonja statt der Pappbecher aus Thons Büro besorgt hatte.
Eine Faust in die Hüfte gestemmt, gestikulierte Emmi Bregenz mit der anderen Hand über Maria Sebergs Kopf .
»Dein Mann ist schwer krank, und ihr habt es auch nicht leicht gehabt mit euerm Laden. Seid froh, dass ihr die Mühle hinter euch habt, wir sinds auch. Nicht?«
Ihren Blick bemerkte ihr in sich zusammengesunkener Mann erst, als sie seinen Namen sagte .
»Was sind wir?«, sagte er.
Unwirsch wandte sich Emmi wieder an Maria. »Und damit belassen wir die Sache und gehen nach Hause.«
»Wir gehen nicht nach Hause«, sagte ich. Und bevor Emmi Bregenz von neuem ansetzte, fügte ich hinzu: »Entweder Sie nehmen Platz oder Sie stellen sich wieder an die Tür.«
Emmi wollte etwas erwidern.
»Frau Bregenz«, sagte ich. »Sie können nicht mehr weglaufen.«
Schritt für Schritt, als betrete sie riskanten, unbekannten Boden, bewegte sie sich auf ihren Mann zu. »Ich lauf nicht weg«, sagte sie mit einer Stimme, die plötzlich
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