Süden und das grüne Haar des Todes
gelebt! Hast du einen Dachschaden? Und Ritzel hat sich mit ihr in einer Pension getroffen? In einer Pension? Wie ein Liebespaar? Das ist doch ekelhaft.«
»Wer ist Ritzel?«, sagte ich .
»Was?«, sagte Emmi Bregenz.
»Das war der Spitzname meines Mannes«, sagte Maria Seberg ruhig. »Früher, als Kind. Heute sagt kein Mensch mehr Ritzel zu ihm.«
»Frau Bregenz hat ihn gerade so genannt«, sagte Sonja .
»Aus Versehen«, sagte Emmi Bregenz. Aber es war ihr unangenehm, und ich hatte den Eindruck, sie war über ihren Ausrutscher erschrocken.
»Deine Schwester ist nicht gestorben, damals.« Geduldig schweifte Maria Sebergs Blick zwischen Emmi und Max Bregenz hin und her, ein versöhnlicher und fast – absurde Vorstellung – mütterlicher Blick. »Sie hat gelebt. Steht alles in dem Bericht, den sie Gabriel anvertraut hat. Er wollt sie nicht, damals, das weißt du, du weißt, wen er in Wahrheit wollt. Aber dann hat er mich genommen. Ich hab Ja gesagt, und jetzt sind wir fünfundvierzig Jahre verheiratet, und die fünfzig kriegen wir auch noch hin . Das ist das Leben. Und Ruth hat sich versteckt, weil sie Grund dafür gehabt hat, ich will das nicht ausführen, das geht niemand was an. Akzeptier einfach, dass sie nichts mehr mit dir zu tun haben wollt …«
Mit einer eckigen Bewegung schob Emmi Bregenz die Schulter herum. Und flinker, als ich es erwartet hätte, packte Max ihre Hand und zog sie zu sich her. Emmi kam nicht dazu, Maria zu unterbrechen .
»Sie ist ganz anders als du, Emmi, du hast nicht verstanden, was mit ihr los gewesen ist. Sie hat was getan, das hast du ihr ein Leben lang vorgeworfen. Was du nicht weißt, Emmi, das ist, dass sie sich das auch vorgeworfen hat. Aber das geht niemand was an. Nur Gabriel, und er hat ihr hoch und heilig versprochen, den Bericht niemand zu zeigen, bloß mir. Und wenn er mal stirbt, und er kann noch lang leben, das hat mir der Herr Professor in Großhadern versprochen, wenn er mal stirbt, dann verbrennt er den Bericht vorher, das ist ihr Wille. Sie hat das alles nur für ihn aufgeschrieben, damit er sieht, was mit ihr gewesen ist, und damit er erfährt, dass sie an ihn gedacht hat, ihr Leben lang, bis heut. In ihrem Herzen hat sie an ihn gedacht, und das war ihr schwer. Sie wollt niemand zur Last fallen damit, und deswegen hat sie geschuftet Tag und Nacht und ist allein in Urlaub gefahren und hat nicht geheiratet und hat auch sonst niemand nah an sich ranlassen, an ihr Herz, Emmi, das musst du akzeptieren. Damals, da hat sie den Jungen, diese Familie verraten …«
Sie verstummte, ihre Hände zitterten wie ihr Kopf. Nur für einen Moment kniff sie die Augen zusammen, dann schaute sie mir ins Gesicht. »Das ist wichtig, Herr Kommissar, ich glaub, ich dürft das nicht erzählen, und Sie müssen mir versprechen, meinem Mann nichts davon zu sagen, versprechen Sie das?«
»Ja«, sagte ich.
»Und Sie …« Sie meinte Erika Haberl. »Schreiben Sie das bitte nicht auf, damit man es später nicht nachlesen kann, das hat Ruth streng verboten. Wenn sie mitschreiben, sag ich kein Wort.«
»Sie schreibt nicht weiter«, sagte ich. »Außer das, was Sie uns erzählen, betrifft unsere Fahndung nach Ruth Kron.«
»Ach was«, sagte Maria Seberg. »Ist auch ganz kurz und schnell vorbei.«
Als Emmi Bregenz merkte, dass sie laut durch die Nase schnaufte, öffnete sie den Mund. Und es blieben nur das Sirren der Neonröhre und das leise Rauschen des Laptops übrig. Ungefähr eine halbe Minute. Dann faltete Maria Seberg wieder die Hände, und ihr Gesicht sah weiß und weich aus.
»Sie hat den Onkel und die Tante des Jungen verraten, und sie haben sie abgeholt, die ganze Familie, und Ruth hat sich dafür geschämt, davon hast du keine Ahnung, Emmi. Du bist ein Kind gewesen, und du hast dir eingebildet, du bist die Bessere von euch beiden. Du hast niemand verraten, das schon, Emmi. Aber du hast sie nie gefragt, wie es ihr geht, ob sie das vielleicht bereut, was sie getan hat. Du hast sie verachtet, und ihre eigene Mutter hat sie verachtet, und alle Kinder haben sie verachtet und ich auch. Und Gabriel. Trotzdem haben wir Weihnachten zusammen gefeiert, hast du das vergessen, Emmi? Bevor der Krieg aus war, sind wir noch zusammen gewesen an Heiligabend, du und Ruth und ich und Gabriel, mein Gabriel. Und wir sind immer noch Kinder gewesen. Und wir haben so getan, als gings uns gut. Nur Ruth gings nicht gut, der gings schlecht, so schlecht, und du hast nichts gemerkt, und deine Mutter auch
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