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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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reagierte nicht, und ich wiederholte:
    »Haidenauplatz. Einen Heidenplatz kenne ich nicht.«
    Er sagte Ja, aber ich hörte es nicht, ich sah nur, wie sein Mund sich öffnete und ein Ja formte.
    »Sie haben Sie nach dem Weg gefragt«, sagte ich.
    »Nach dem Heiden… Haidenau… platz«, sagte er mit großer Mühe. Offenbar verstand er jedes Wort.
    »Haben Sie noch weiter mit den beiden Kindern gesprochen?«
    Er schüttelte den Kopf so knapp, wie er nickte.
    Ich schaute auf die Uhr. Am Telefon hatte ich mit Martin Heuer vereinbart, er solle um zehn vor dem Bahnhof im Auto auf mich warten. Jetzt war es zwanzig vor zehn.
    Ich sagte: »Ich brauche Ihre Aussage schriftlich.« Er schwieg.
    »Ich formuliere den Text, und Sie unterschreiben ihn, sind Sie damit einverstanden, Bogdan?«
    Er schwieg.
    Ich dachte: Dieses Schweigen könnte von mir sein. Ich wusste nicht, wie ich auf diesen Gedanken kam.
    »Sind Sie den ganzen Tag hier am Ostbahnhof?«
    Ich beugte mich vor und legte den Kopf schief, mein Ohr auf Höhe seines Mundes.
    »Ja«, sagte er fast stimmlos.
    »Ich komme am Nachmittag wieder, Sie haben mir sehr geholfen. Vielleicht finden wir die Adresse am Haidenauplatz heraus, oder wir finden einen Zeugen, der die Kinder dort gesehen hat. Danke, dass Sie uns angerufen haben.«
    Er hörte mir nicht zu, jedenfalls deutete nichts darauf hin.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte ich. »Ich lade Sie ein.« Noch immer hielt ich den Kopf schief. Und obwohl ich geglaubt hatte, er versinke in Abwesenheit, stellte ich, als ich mich aufrecht setzte, fest, dass er mich anscheinend die ganze Zeit beobachtete.
    Ich winkte dem Kellner.
    »Ist dieser Mann öfter Gast bei Ihnen?«, fragte ich ihn.
    »Ja, er trinkt Espresso, sonst nichts, Espresso.«
    »Dann bringen Sie ihm noch einen auf meine Rechnung.«
    Ich bezahlte und stand auf. »Auf Wiedersehen, Bogdan, wir sehen uns am Nachmittag.«
    Zum dritten Mal wischte er sich übers Gesicht, bedeckte den Mund und stellte dann die kleine weiße Tasse auf den Unterteller.
    In einer der Parkbuchten beim Taxistand wartete Martin in einem Dienstwagen. Als ich einstieg und mich auf die Rückbank setzte, las er Zeitung, und ich erzählte ihm von der Geste des Sandlers, die mich irritiert hatte.
    »Du hast gestern viel von früher erzählt«, sagte Martin.
    »Deine Antennen sind offen.« Vermutlich hatte er Recht.
    Ich warf einen Blick auf die Zeitung und las:
    »Rekonstruktion des Spanferkels.« Das passierte mir oft, dass ich Wörter und Sätze las, die von dem, was tatsächlich dastand, grotesk abwichen. Die richtige Überschrift lautete:
    »Koalition steht zu ihrem Sparpaket.«
    Bevor Martin die Zeitung weglegte, überflog er die Todesanzeigen, eine Angewohnheit, die ich teilte und die, so glaube ich, nur Menschen haben, die in einem Dorf groß geworden sind, wo ständig Menschen sterben, die man gekannt hat oder von denen man Angehörige oder einen ihrer Freunde kennt.
    »Unvergessen«, las Martin vor. »Kreszentia Wohlgemuth.«
    Er deutete auf die Anzeige. »Eine Kolonialwarenhändlerswitwe.« Er wiederholte das Wort silbenweise. »Sie ist vor hundert Jahren gestorben, und ihre Leute geben noch heute ein Inserat auf. Das nennt man Gedenken.« Er warf die Zeitung neben mich auf die Bank und fuhr los.
    Von unterwegs rief ich im Dezernat an, um die Kollegen zu bitten, die Adressen der Personen zu überprüfen, mit denen wir bereits gesprochen hatten, und die nahen Verwandten der Familien Berghoff und Tiller noch einmal nach einer Verbindung zum Haidenauplatz zu befragen.
    Vor allem aber verlangte ich nach Sonjas Stimme.

11
    H ätte ein Eisbär zwischen den Eheleuten auf der Couch Platz genommen, er wäre nach wenigen Minuten erfroren. Hajo Berghoff hatte das eine Bein über die Lehne geschwungen, als richte er sich auf einen gemütlichen Fernsehabend ein, und tatsächlich blickte er ständig in Richtung des Geräts hinter mir. Susanne Berghoff hatte die Beine übereinander geschlagen, wobei sie den einen Fuß gegen den Knöchel des anderen presste, spielte mit den Fingern und bewegte sich keinen Millimeter. In den etwa siebzig Minuten unserer Vernehmung streckte Berghoff lediglich einmal sein Bein, bevor er es wieder über die Lehne legte, ansonsten blieben die beiden wie erstarrt sitzen, sahen sich kein einziges Mal an und redeten, als säßen sie in verschiedenen Zimmern.
    Und vielleicht stimmte das sogar, das Zimmer, in dem der Mann sich aufhielt, betrat seine Frau schon lange nicht mehr,

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