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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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die ganze Zeit anschaute, unter wolligen Brauen hervor, die seinen Blick verdunkelten.
    »Was möchten Sie?«, fragte der Kellner mit osteuropäischem Akzent.
    »Kaffee.«
    Bogdan stellte die Tasse neben den Unterteller. Ich zog den Reißverschluss meiner Lederjacke auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Für einige Momente atmete ich Sonjas Geruch ein, als entströmte er meinen Händen, auch der Duft des Kaffees, der für so eine Kneipe ungewöhnlich heiß und stark war, überdeckte ihn nicht. Eine Weile blieb Sonjas Nähe meine Gegenwart, bis ich begriff, dass der Mann etwas gesagt hatte.
    »Ich habe Sie nicht verstanden.«
    Bogdan beugte sich vor, zögerte, zumindest kam es mir so vor, legte die Hand auf meine Schulter und näherte sich meinem linken Ohr. Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite.
    »Schwere Nacht gehabt?«, flüsterte Bogdan mit heiserer Stimme, holte Luft, räusperte sich und lehnte sich zurück. Und dann tat er etwas, das mich erschreckte, ohne dass mir klar war, warum es mich erschreckte, denn es war nichts weiter als eine Erinnerung. Vielleicht überraschte mich nur das plötzliche Auftauchen dieser Erinnerung.
    Bogdan strich sich mit der flachen Hand übers Gesicht, von der Stirn bis zum Kinn, und hielt die Hand drei Sekunden vor den Mund, als habe er etwas Unrechtes gesagt und sei darüber erschrocken.
    Eine ähnliche Geste kannte ich von meinem Vater, und ich hatte sie später nie wieder bei einem Menschen gesehen.
    Vermutlich starrte ich Bogdan an, und er musste denken, ich urteile über sein Aussehen. Wieder kippte er mit seinem breiten Oberkörper nach vorn, hob schwerfällig den rechten Arm, drückte den Hut fester auf den Kopf, keuchte und legte die Ellbogen auf den Tisch, indem er seine Espressotasse und den Teller in meine Richtung schob.
    »Sie haben die beiden Kinder gesehen«, sagte ich. Er hob den Kopf und öffnete einen Spaltbreit den Mund.
    Dann ruckte er mit dem Kopf, und ich deutete es als Zeichen mit meinem Ohr näher zu kommen.
    Mit brüchiger, schwer verständlicher Stimme sagte er:
    »Kinder… bei den Bussen… das Mädchen, das Mädchen…«
    Mehr verstand ich nicht.
    »Ich verstehe Sie nicht«, sagte ich und hielt den Kopf still.
    »Mädchen… fragte mich nach einer… Straße…«
    Den Namen der Straße verstand ich nicht, aber ich wollte ihn nicht erneut unterbrechen.
    »Hab ihr gesagt, wo… und der Junge…«
    »Was war mit dem Jungen?«, fragte ich.
    Ich spürte die verfilzten Barthaare am Ohrläppchen und vernahm ein eigenartiges Rascheln wie von Insekten in trockenem Laub.
    »Junge… hat… geweint…« Mit einem Ruck ließ sich der Mann nach hinten fallen, ein Rasseln kam aus seinem Mund.
    »Der Junge hat geweint?«, sagte ich.
    Bogdan nickte. Es war ein schnelles, unmerkliches Nicken.
    »Warum hat er geweint?«, fragte ich.
    Bogdans Augen wurden klein, er sah auf den Tisch, während er mit der Hand eine wischende Bewegung machte.
    »Das Mädchen hat ihm eine Ohrfeige gegeben«, riet ich. Er nickte mehrmals hintereinander, abgehackt wie ein Vogel.
    »Warum hat sie das getan?«
    Seine Stimme hievte die Worte nur bis zu den Lippen , wo sie im Bartgestrüpp verloren gingen. Jetzt war ich es, der sich vorbeugte. Wie vorhin legte ich den Kopf schief, damit er mein Ohr besser erreichen konnte.
    »Junge… hat Angst gehabt, glaub… Heidenplatz…« Er bekam keine Luft, strich sich wieder übers Gesicht, legte die Hand vor den Mund, ließ sie länger dort als vorher, zog den Kopf zwischen die Schulterblätter und blickte durch das Café, in dem Männer und Frauen einzeln an Tischen saßen und den Eindruck vermittelten, sie wären jeden Tag hier, vom Öffnen bis zur Sperrstunde, in Schweigen oder Gemurmel vertieft, abseits der Zeit.
    Draußen gingen Leute vorüber, auf dem Weg zu den Zügen oder von dort ans Tageslicht, manche mit Koffern, manche mit Plastiktüten, manche aßen etwas in aller Eile, manche tranken Bier aus Dosen. Ein Tourist verirrte sich ins Café und traute sich nicht umzukehren. Er setzte sich hin und bestellte einen Kaffee und beobachtete verschämt den Mann mit dem Lederhut und mich, die wir begonnen hatten zu schweigen.
    Beide hockten wir vornübergebeugt da, Bogdan hatte die Arme auf den Tisch gelegt, als wolle er gleich seinen Kopf darauf betten und schlafen, ich hatte die Arme verschränkt und stützte sie auf den Oberschenkeln ab und meine Haare berührten den Tisch.
    Dann sagte ich: »Wollten die Kinder zum Haidenauplatz?«
    Bogdan

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