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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Gelegenheit ihn zu küssen.
    Als ich mich wieder auf den Rücken drehte, sagte Sonja:
    »Das Wort Faustkampf hab ich lange nicht mehr gehört.« Zuerst begriff ich nicht, worauf sie anspielte.
    Dann sagte ich: »Ich auch nicht.«
    Ich griff neben das Bett, nahm die Bierflasche und hob sie hoch.
    »Schade, dass du keine Rede gehalten hast«, sagte ich. Auch Sonja hatte auf ihrer Seite eine Flasche neben sich auf dem Boden stehen.
    »Ich halte nie Reden«, sagte sie.
    Wir tranken und sahen uns in die Augen.
    »Dein Freund sieht nicht gut aus«, sagte sie.
    »Er schläft zu wenig.«
    »Und er trinkt und raucht zu viel«, sagte sie. »Hat er eine Freundin?«
    »Ja.«
    »Lebt er mit ihr zusammen?«
    Obwohl Sonja seit einigen Monaten auf der Vermißtenstelle war und die beiden bereits ein paar Fälle gemeinsam geklärt hatten, wussten sie nahezu nichts voneinander. Sonja fragte nicht, und Martin erzählte nichts.
    »Nein«, sagte ich. »Er besucht sie regelmäßig, immer nur nachts, sie arbeitet als Prostituierte, sie ist etwas älter als er, und ich glaube, sie lieben sich.«
    Sonja drehte den Kopf zu mir. »Ihr seid beide merkwürdige Polizisten. Dass ihr euch ausgerechnet diesen Beruf ausgesucht habt!«
    »Ich wollte schon aufhören«, sagte ich. »Wenn ich bei der Streife geblieben wäre, hätte ich gekündigt. Martin hatte kein Interesse am gehobenen Dienst, ihm machte die Uniform nichts aus, damals wenigstens.«
    »Mir ist aufgefallen, du redest manchmal, als wärst du ein alter Mann.«
    »Obwohl ich nicht viel erlebe«, sagte ich, »habe ich zu viele Erinnerungen, mit denen ich nicht fertig werde.«
    »Was meinst du mit ›fertig werden‹?«
    »Sie sind oft mächtiger als die Gegenwart.«
    Sie wandte den Blick ab, die Hände in die Baumwolldecke gekrallt wie ein ängstliches Kind.
    »Ist dir kalt?«, fragte ich.
    »Ein bisschen.«
    Ich legte den Arm um ihre Schultern, und sie schmiegte sich an mich. Sie schloss die Augen wie ich auch.
    Nach einiger Zeit, während es still war und der Schweiß auf meinem Körper trocknete, sagte Sonja: »Wovon hast du dich im Wald ernährt? Hast du nicht einen wahnsinnigen Hunger gehabt? Du warst ein Kind!«
    »Ich hatte zwei trockene Semmeln eingesteckt«, sagte ich.»Mehr habe ich mich nicht getraut mitzunehmen. Die habe ich in winzigen Bissen gegessen.«
    »Hast du einen Plan gehabt, wie lange du wegbleiben willst?«
    »Nein.« Ich schwieg. »Mein einziger Plan war weg zu sein.«
    »Aber dann bist du doch zurückgekehrt, Gott sei Dank«, sagte sie.
    »Ich hatte mich so verlaufen, dass ich gedacht habe, ich werde sterben. Allein, im Wald, in der Dunkelheit, und der Schnee wird mich begraben und im Frühjahr werde ich mit dem tauenden Schnee in der Erde verschwinden.«
    »Hast du große Angst gehabt?«
    »Anfangs schon«, sagte ich. »Aber am Nachmittag des nächsten Tages, nachdem ich die Nacht auf einem Hochsitz verbracht hatte, fing es zu schneien an. Und wenn es schneit, habe ich ein sorgloses Empfinden.«
    »Merkwürdiger Polizist«, sagte sie wieder und legte ihre Hand zwischen meine Beine und ließ sie dort wie ein Obdach.
    »Ich hätte es nicht tun dürfen«, sagte ich und roch an ihren Haaren. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust, und ich hielt sie fest, und es schneite in einer anderen Zeit und jetzt, draußen vielleicht, oder im Nebenzimmer, dessen Wände ich gelb gestrichen hatte.
    »Und deine Eltern haben dich nicht von der Polizei suchen lassen?«, sagte Sonja.
    »Nein«, sagte ich und sah verwundert zum Fenster, als überraschte mich diese Antwort. Damals, als mein Vater mich einsperrte und sagte, wenn ich nicht freiwillig zurückgekommen, sondern von der Polizei gebracht worden wäre, hätte er mich in ein Heim gesteckt, ich hätte Glück gehabt dass er die Polizei noch nicht eingeschaltet hatte, weil meine Mutter überzeugt gewesen sei, ich käme von alleine zurück, damals erschien mir dieses Verhalten verständlich und logisch. Und dennoch war es ungewöhnlich, in gewisser Weise beinah verdächtig. Hatten meine Eltern kein Interesse mich wiederzufinden? Warum nicht? Waren sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie Zeit zur Sorge um mich gehabt hätten? Rechneten sie damit, ich sei bei Freunden und wolle ihnen bloß einen Schrecken einjagen? Natürlich hatten sie sich bei Martin und seinen Eltern nach mir erkundigt, auch bei anderen Eltern meiner Klassenkameraden, natürlich hatten sie meine Lehrerin gefragt. Auf der örtlichen Polizeistation jedoch waren

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