Süden und das Lächeln des Windes
Beziehungssache ausgingen, das hieß, wir hatten Hinweise auf eine außereheliche Beziehung erhalten, die der Ehemann offenbar eine Weile ungestört genießen wollte.
Zwei Tage später tauchte er wieder auf und behauptete, er habe mal einige Zeit für sich sein und über sein Leben nachdenken müssen. Seine Frau tat so, als würde sie ihm glauben, und wir schickten einen Vermisstenwiderruf ans Landeskriminalamt, damit die Kollegen den Namen im INPOL-System löschen konnten.
»Ich bin immer wieder verblüfft, in was für einer Lügenwelt manche Familien leben«, sagte Martin, bevor er anfing, das Protokoll seiner Vernehmung zu schreiben.
»Und noch mehr beeindruckt mich, wie professionell sie ihre Lügen verkaufen, ich fall immer wieder drauf rein.«
Mein Telefon klingelte.
»Hier ist noch mal Frau Berghoff.«
»Grüß Gott, Frau Berghoff«, sagte ich.
»Es geht um meinen Sohn«, sagte sie. Also fuhren Martin und ich in die Herzogstraße zum Hotel »Aurora«, um uns eine Geschichte erzählen zu lassen, von der wir zunächst nicht erwarteten, dass sie der Wahrheit entsprach.
»Sie müssen mir glauben«, sagte Susanne Berghoff mehrere Male hintereinander. »Mehr weiß ich auch nicht. Ehrlich.«
Was sie nicht wusste, war, wo ihr Sohn sich aufhielt. Timo war neun Jahre alt, und weder Martin noch ich konnten uns an eine Mutter erinnern, die, obwohl sie offenbar keine Ahnung hatte, wo sich ihr Kind herumtrieb, derart geringe Anstrengungen unternommen hätte seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Ihre größte Sorge schien zu sein, jemand könne von Timos Verschwinden erfahren, und anfangs hielt ich es für möglich, dass sie uns nur deswegen informiert hatte, damit wir dies verhinderten und nichts weiter. Susanne Berghoff wirkte vollkommen auf sich fixiert.
Aber wir drängten sie nicht. Wir ließen sie reden.
»Er ist schon öfter weg… Das macht er schon mal… Er ist sehr selbstständig…«
Wir saßen im Aufenthaltsraum des kleinen Hotels an einem Tisch mit einer grünen Decke, über die eine zweite, weiße gebreitet war. Alle zwölf Tische sahen gleich aus, unter dem Fenster mit den bodenlangen Stores stand ein langer Tisch, auf dem Tassen und Teller ordentlich aufgereiht waren. Der Raum war niedrig und dunkel, an der Decke brannte eine Lampe mit einem beigen Stoffschirm, die ein Licht verbreitete, das mich müde machte.
Vielleicht lag es auch an der trockenen Luft und an der Art, wie Susanne Berghoff sprach. Sie war neunundzwanzig, wie wir später erfuhren, aber als wir sie das erste Mal trafen, schätzte ich sie auf mindestens fünfunddreißig. Sie war sehr schlank, eigentlich dürr, und stark geschminkt, sie wirkte überarbeitet und nervös, sie kam mir vor, als denke sie außer an sich selbst an eine Menge Dinge, die sie unter keinen Umständen preisgeben wollte. Immer wieder ging ihr Blick zur Tür, als erwarte sie jemanden, dann schaute sie uns mit verkniffenem Gesicht an, überlegte, wägte die Worte ab, strich die Tischdecke glatt, faltete die Hände und nahm sie wieder auseinander.
»Warum sagen Sie nichts?«, fragte sie.
Martin, der ihr gegenüber saß, zuckte mit der Schulter. Ich stand in der Nähe des Fensters, die Arme verschränkt, und hätte gern das Fenster geöffnet, um durchzuatmen, was auch Timos Mutter nicht geschadet hätte.
Sie schüttelte den Kopf. Dann rieb sie den Zeigefinger am Daumen wie jemand, der von Geld spricht. Sie bemerkte es nicht.
»Sie glauben, ich verschweig Ihnen was«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich.
»Das stimmt nicht!«
»Können wir Ihren Mann in Wolfsburg anrufen?«, fragte Martin.
Sie hatte uns erzählt, ihr Mann nehme im VW-Werk an einem schwierigen Einstellungstest teil, bei dem Personen , die bisher nichts mit Autos zu tun hatten, zu Monteuren umgeschult würden und darüber hinaus fähig sein sollten, in einer Gruppe zu arbeiten. Darauf basiere das neue Konzept des Unternehmens, das von den Arbeitern verlange, eine bestimmte vorher vereinbarte Menge von Fahrzeugen fertig zu stellen, und zwar für einen Pauschallohn, wobei sich die konkrete Arbeitszeit nach der Erfüllung des Produktionssolls richte, und je perfekter die Abstimmung im Team funktioniere, desto schneller werde das Ziel erreicht und desto höher der Stundenlohn für jeden Einzelnen.
Mit großem Eifer hatte Susanne Berghoff von dem Konzept erzählt, so weit sie es verstanden oder ihr Mann es ihr erklärt hatte. Sie schien stolz auf seinen Elan und seinen Willen zu sein, diese Prüfungen zu
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