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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Matratze, darauf Bettzeug und weitere Bücher, auf der Zentralheizung beim Fenster stand ein Stereorecorder und an der Wand gegenüber der Matratze ein weißer rechteckiger Tisch, überfüllt mit Ordnern, Heften, Stiften und Schreibblöcken. Auf dem Klappstuhl davor hockte ein brauner, zotteliger Stoffbär, den Nike wegnehmen wollte.
    Ich sagte: »Ich stehe lieber.«
    »Okay«, sagte sie, setzte den Bären wieder hin und schlug ihm sanft auf den Kopf. »Das ist Herr Zahntrost. Ich hab ihn schon, seit ich ein Kind war, er hat mich immer getröstet, wenn ich Zahnweh hatte, und ich hatte oft Zahnweh. Herr Zahntrost kann das bestätigen. Er ist mein Talisman.«
    »Können Sie das Räucherstäbchen löschen?«, sagte ich.
    »Sie sind total verkrampft«, sagte Nike, ging zum Fensterbrett und tippte die Spitze des Stäbchen in einen Aschenbecher. »Außerdem sehen Sie irgendwie merkwürdig aus.«
    »Warum?«
    »So normal«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. Dann schaute sie mich an. Ich schwieg.
    »Nicht wie ein Polizist. Mit ihrer Lederhose und dem Leinenhemd und den langen Haaren und dem… na ja, rasiert sind Sie ja nicht direkt.«
    »Auch nicht indirekt«, sagte ich.
    »Für einen Polizisten sind Sie auf jeden Fall reichlich normal.«
    »Ich bin nicht normal«, sagte ich. »Fragen Sie meinen Vorgesetzten. Wann haben Sie Cölestin Korbinian zum letzten Mal gesehen, Frau Horch?«
    »Sagen Sie bloß Nike zu mir! Ich bin zwanzig und ich will nicht, dass es klingt, als würden Sie mit meiner Mutter sprechen.«
    »Wann haben Sie Cölestin Korbinian zum letzten Mal gesehen, Nike?«
    »Gestern«, sagte sie, ließ sich, Zigarette und Aschenbecher in einer Hand, auf die Matratze fallen und lehnte sich gegen die Wand.
    »Sie sollen mich nicht anlügen«, sagte ich.
    »Ich weiß schon, was Sie denken, Sie denken, ich hätt gleich die Polizei anrufen sollen. Stimmts, das denken Sie?« Sie inhalierte, fummelte an ihrem Hemd und zog die Beine eng an den eher übergewichtigen Körper. Mit ihrer Mutter hatte sie kaum äußerliche Gemeinsamkeiten, lediglich die etwas flache Nase und die Art, wie sie ab und zu mit nur einem Auge blinzelte, erinnerten mich an Silvana Horch.
    »Herr Korbinian wollte nicht, dass Sie anrufen«, sagte ich.
    »Herr Korbinian!«, sagte sie amüsiert. »Das hat er sich verbeten, dass ich ihn so anred, er ist der Cölestin, hat er gleich zu mir gesagt, und er wollt, dass wir uns duzen.«
    »Wann war das?«
    »Weiß ich nicht mehr. Im Januar.«
    »Er hat Sie hier besucht?«
    »Nee.« Sie rauchte. Ich schwieg.
    Sie drückte die Zigarette aus, sah mich wieder vom Kopf bis zu den Schuhen an und ihr linkes Augenlid zuckte.
    »Sie haben genauso eine Kette wie ich.« Sie zog sie aus dem Hemd und hielt den Stein in die Höhe. »Bei mir ist eine Rose drauf. Bei Ihnen?«
    »Ein Adler«, sagte ich. »Das Amulett hat mir ein Schamane geschenkt, als ich ein Kind war.«
    »Deswegen haben Sie so lange Haare!«, sagte Nike.
    »Weswegen?«
    »Weil Sie ein Freund der Indianer sind.«
    »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte ich.
    »Und was bedeutet der Adler?«
    »Er symbolisiert das Licht der Erkenntnis«, sagte ich.
    »Aber es ist trotzdem sehr oft dunkel. Zum Beispiel jetzt.« Sie sah mich an, versteckte die silberne Kette unter dem Hemd und lehnte den Kopf an die Wand, wie jemand, der erschöpft ist. »Er wollt nicht, dass ich jemand anruf. Er hat gesagt, er möcht sich nur bei mir bedanken, weil ich ihm so viel über die Malerei und über Spitzweg erzählt hab.«
    »Haben Sie ihn nicht gefragt…«
    »Doch«, sagte sie und machte eine Pause. »Ich hab ihn gefragt, was los ist, aber er wollt nicht drüber sprechen. Er hat gesagt, er hat jetzt ein neues Zuhause. Und eine Freundin hätt er auch.«
    Ich schwieg.
    »Ehrlich, ich hab ihn gefragt, wieso er abgehauen ist und wieso er sich nicht mehr bei seiner Frau meldet.«
    Nach einer Weile sagte ich: »Welche Kleidung trug er?«
    »Ein blaues Hemd, eine dunkle Hose und einen Hut, seinen Strohhut.«
    »Sonst nichts?«
    »Was denn noch?«
    »Vielleicht einen Mantel, eine Jacke.«
    »Nee.«
    »Hatte er Gepäck bei sich?«
    »Nee.«
    »Und er war noch nie zuvor hier bei Ihnen in der Wohnung?« Nike nickte.
    »Wo haben Sie ihn zum ersten Mal getroffen?«
    »Auf der Post«, sagte sie. »Ich hab meinen Vater besucht, da sind wir ins Gespräch gekommen, und ein paar Tage später waren er und seine Frau bei uns zum Essen.«
    »Haben Sie bei diesem Besuch über

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