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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gearbeitet, auf den Feldern, in der Küche und überall, wo es etwas zu tun gab, und in den vergangenen Tagen hatte sie mehrmals aus dem Betonzylinder Futter für die Kühe geholt und dabei die Luke offen gelassen. Wie Irma, der junge Erpmaier, der Herr Pankratz und einige andere Erwachsene schließlich rekonstruierten, hatte Rummel, woher auch immer er davon wusste, genau zu dieser Zeit zum ersten Mal sein Korblazarett verlassen und war quer über die große Wiese gestakst, zielstrebig auf das Silo zu, in dem er sich dann, umwabert von tödlichem Gärungsgeruch, tief ins Heu hineingrub. Herr Pankratz hatte keinen Zweifel daran, dass sein einzigartiger Dackel Selbstmord begangen hatte. Womit Rummel in der Geschichte des gemeinen Hundes vermutlich eine absolute Sonderstellung einnahm.
    »›So ein Blödi‹, hat Martin gesagt«, sagte ich zu Nero, während wir die Pflastersteintreppe neben dem »Brunnenwirt« hinunterstiegen. Der Bach, die Schwarze Lacke, rauschte laut unter den Bäumen. Abgesehen von einigen kurzen Schnupperpausen an Garagentoren und Gartenzäunen hatte Nero mich zielstrebig durch die Gundelindenstraße geführt, war nach links in die Klementinenstraße eingebogen, wo er vor den weißen Hortensien und dem Frauenmantel verharrte, als wisse er plötzlich nicht weiter. Ich überlegte, ob er von den rot aus dem Blattwerk hervorleuchtenden Walderdbeeren gekostet hätte, wenn er fähig gewesen wäre zu sehen. Ich stand etwa zwei Meter von ihm entfernt und wartete auf das zaghafte Rucken der Leine. Dann setzten wir unseren Weg fort, und ich beendete die Geschichte vom blöden Hund.
    »Natürlich war er nicht blöd«, sagte ich. »Aber damals hielten wir ihn für die dämlichste Kreatur, der wir je begegnet waren, inklusive des Kanarienvogels von Martins Eltern, der nachts regelmäßig von der Stange kippte, bis er wahrscheinlich an einer Hirnblutung einging, und des Stiers Alois, der so oft von einer Kuh abrutschte, bis er sich einen Penisbruch zuzog, eine Verletzung, die dem Tierarzt nach eigener Aussage in dieser Form noch nicht untergekommen war. Aber dass Rummel zum Sterben in das Silo gegangen ist, haben wir merkwürdigerweise sofort geglaubt«, sagte ich.
    Weil Nero sich vor einer Bank in den Kies gelegt hatte, setzte ich mich, lehnte mich zurück, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Mühelos übertönte die Schwarze Lacke das Rauschen des Verkehrs auf dem Isarring, der an den Ausläufern des Englischen Gartens entlangführte. Dann warf ich einen langen Blick auf den stumm und zitternd daliegenden Hund. Vielleicht hatte er sich absichtlich diesen Platz ausgesucht, im Schatten einer Kastanie, deren Blätter von braunen Flecken zerfressen waren und deren graue Äste leblos wirkten. Von diesem Baum fielen schon lange keine stacheligen grünen Schloßen mehr, und ich bemerkte, dass der Boden zwischen Bank und Kastanie übersät war von altem verschrumpeltem Laub. Hinter den Büschen ragten vierstöckige Flachdachbauten mit dunklen, blechverschalten Fenstern auf. Trotz des üppigen und nach dem ersten Sommergewitter in der vergangenen Nacht wie poliert wirkenden Grüns der Sträucher und Hecken durchzog ein Schleier von Verlebtheit und Verlorenheit diesen Winkel, es kam mir vor, als wären Nero und ich die einzigen lebenden Geschöpfe hier, Hinterbliebene aus einer anderen Zeit, zukunftslos, Wegelagerer in einem erschöpften Universum.
    »Komm«, sagte ich. »Wir müssen hier weg.«
    Und sofort erhob sich der Hund, schüttelte sich, streckte auf eine groteske Weise die Beine, indem er jedes seiner mageren, zuckenden Beinchen einige Sekunden in der Luft behielt, und es hätte mich nicht überrascht, wenn er durch diese für seine Verhältnisse akrobatisch anmutende Übung umgekippt wäre. Und wieder war er es, der daraufhin die Richtung bestimmte.
    Über den leicht ansteigenden Kiesweg – und nicht zurück über die Steintreppe, wie ich vermutet hatte – erreichten wir eine nur für Radfahrer und Fußgänger zugelassene geteerte Straße, von der wir nach links in die Brabanter Straße abbogen, die uns zum »Brunnenwirt« zurückbrachte und ab hier Biedersteiner Straße hieß, gesäumt von zweistöckigen, in Rosa gehaltenen Wohnblöcken.
    Niemand begegnete uns. Das fiel mir erst auf, als wir wieder in die Gundelindenstraße zurückgekehrt waren und ich einen Mann in einem verwilderten Garten stehen sah, der in einer Zeitung las. Seit wir das Haus, in dem Annegret Marin wohnte, verlassen

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