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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Zwanghaft versuchte ich Details zu rekonstruieren, die Ecken, an denen wir abgebogen waren, den Platz unter dem Baum, wo ich auf der Bank gesessen hatte, und ich musste erst nachdenken, um was für einen Baum es sich gehandelt hatte.
    Es war, als hätte ich mich außerhalb meiner Erinnerung befunden. Als wäre der Spaziergang selbst kein Erlebnis von mir gewesen, sondern von einem Fremden, der mir vor langer Zeit davon erzählt hatte.
    »Und wo genau warst du mit der Töle?«, hatte Sonja mich gefragt.
    Und ich hatte nichts weiter zu antworten gewusst als:
    »Er ist keine Töle, er ist männlich, er ist höchstens ein Töler.«
    Sie hatte geseufzt.
    Und jetzt stand ich vor einem winzigen Bild und sah darauf einen Mann, der, bekleidet mit einem grünen Morgenmantel, im Garten einer Frau hinterherblickt, die einen Korb, gefüllt mit etwas Dunklem, auf ein Haus im Hintergrund zuträgt. Der Mann liest Zeitung, raucht Pfeife und trinkt Kaffee aus weißem Geschirr, das auf einem Rundtisch hinter ihm steht.
    »Sprichst du nicht mehr mit mir?«, hörte ich Sonja sagen. Ich wollte etwas erwidern, es gelang mir nicht. Als hätten die Worte mir das Gedächtnis entzogen.
    Nur ein paar Schritte von diesem Bild entfernt sah ich ein weiteres, nicht viel größeres Werk, das ebenfalls einen Mann in einem Garten zeigte. Aus einer Blechkanne gießt er Wasser unter einen Rosenstrauch, und er bemerkt nicht, wie sich hinter seinem Rücken auf dem Absatz einer Steintreppe ein junges Liebespaar küsst. Neben dem Paar thront auf einer Mauer ein bauchiger Trog, aus dem die schmalen Blätter einer Agave wie grüne Tentakel hervorquellen. Durch das dichte Blätterwerk ringsum fällt sanftes Licht, es bestrahlt die kokette Anmut des Mädchens ebenso wie die Mauer, sodass die gewissenhafte Tätigkeit des Mannes davor umso liebevoller erscheint. Über den Stein windet sich Efeu. Wie am Haus von Annegret Marin.
    Etwas hatte sich elementar verändert, etwas in meinem Schauen, etwas um mein Schauen herum, etwas in der Zukunft meiner Erinnerungen.
    »Wo bist du gerade?«, fragte Sonja, und ich war erleichtert, sie sofort wiederzuerkennen.
    »Hier«, sagte ich. »Hier bin ich.«
    »Das seh ich«, sagte sie. »Aber wo noch?«
    Abends, in meiner Wohnung, erzählte ich Martin noch weniger als Sonja. Ich sagte ihm nichts von meinem Ausflug mit Nero, nichts von der unheimlichen Stimmung, in die mich die Bilder bei meinem zweiten Besuch im Haus der Kunst versetzt hatten, nichts von meinen Blicken und Wahrnehmungen, die mir gleichzeitig exotisch und seit Urzeiten vertraut vorkamen, nichts von der Nähe, die ich seit diesem Tag zu Cölestin Korbinian empfand, zu seiner Anderswelt, zu seiner Herkunftsfremde.
    »Das sieht dann doch nach einem Verbrechen aus«, sagte Martin Heuer.
    Wir saßen in der Küche vor unseren leer gegessenen Tellern.
    »Wir wissen es noch nicht«, sagte ich.
    Martin hob seine Bierflasche. »Möge es nützen!« Wir stießen mit den Flaschen an.
    Martin zündete sich eine Salem ohne an. »Hast du noch jemanden auf deiner Liste?«
    »Ich kenn den Mann fast gar nicht«, sagte sie an der Tür ihrer Wohnung, aus der süßlicher Duft strömte.
    »Sie waren mit ihm in der Spitzwegausstellung«, sagte ich.
    »Woher wissen Sie das?«, sagte sie erschrocken.
    »Darf ich reinkommen?«
    Sie zögerte, zupfte an ihrer blau karierten Bluse, die sie über die Hose hängen hatte.
    »Sie wissen wahrscheinlich mehr über ihn als jeder andere«, sagte ich.
    »Nee«, sagte sie.
    »Doch«, sagte ich.
    Aus der Wohnung nebenan traten zwei dunkelhäutige Männer auf den Flur, der eine sperrte ab, der andere ließ uns nicht aus den Augen. Wortlos gingen sie an mir vorüber und die Treppe hinunter.
    »Hier wohnen praktisch nur Ausländer«, sagte Nike Horch. Ich schwieg.
    »Dann kommen Sie halt rein. Aber ich weiß nicht, wo er steckt, das sag ich Ihnen gleich. Möchten Sie einen frisch gepressten Orangensaft?«
    »Unbedingt«, sagte ich.

11
    I n ihrem Zimmer nebelte mich ätzender Rauch ein, zumindest empfand ich die dünne graue Säule, die von dem blauen Stäbchen aufstieg, wie eine Rauchschwade aus dem Schornstein einer chemischen Fabrik.
    »Das ist gut zur Entspannung«, sagte Nike Horch.
    »Atmen Sie den Duft tief ein!«
    »Welchen Duft?«, sagte ich und stand, einen Plastikbecher halb voll mit Orangensaft, in einem Zimmer, in dem sich Bücher und Bildbände an den Wänden stapelten und jeglicher Komfort fehlte. Auf dem Boden lag eine zwei Meter breite

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