Süden und der glückliche Winkel
Malerei gesprochen?«
»Nicht richtig, meine Eltern haben erzählt, dass ich Kunstgeschichte studier, ich saß bloß so dabei, mich hat dieses Essen zu Tode gelangweilt. Keiner hat richtig gesprochen, die saßen alle da, mampften vor sich hin, und ich hab mich gefragt, was die da machen, wieso die überhaupt hier sitzen? Die hatten sich null zu sagen, die ganze Runde.«
»Und im Januar?«, sagte ich. »Wo haben Sie Cölestin da getroffen?«
»Im Haus der Kunst, er hat mich angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätt hinzukommen. Er hat mir sogar Geld angeboten.«
»Wie viel?«
»Fünfhundert.«
»Wofür wollte er Ihnen das Geld geben?«
Sie gab sich einen Ruck, stand auf, kratzte sich am Kopf und öffnete das Fenster. Von der Blütenstraße drangen Stimmen und Motorengeräusche herauf.
»Nachhilfe«, sagte Nike. »Er wollt, dass ich ihm was über Malerei und vor allem über Spitzweg erzähl. Hab ich auch gemacht. Aber das Geld hab ich nicht genommen. Nur einen Hunderter, den wollt er sich nicht abschlagen lassen. Ich kann das Geld gebrauchen.«
»Woher hat er Ihre Telefonnummer?«
»Von meinem Vater, Cölestin hat ihn drum gebeten.«
»Davon hat mir Ihr Vater nichts erzählt«, sagte ich.
Durch die geschlossene Zimmertür waren Schritte zu hören. Kurz darauf ertönte nebenan Musik, relativ laut, relativ unangenehm.
»Maxi ist zurück«, sagte Nike. »Sie studiert auch Kunstgeschichte. Aber hauptsächlich arbeitet sie im ›Blue Moon‹.«
»In der Nachtbar?«, sagte ich.
»Kennen Sie die Bar?«
»Ich war schon dort«, sagte ich.
»Beruflich oder privat?«
»Beides.«
Sie blinzelte mit dem rechten Auge und warf einen Blick zur Durchgangstür zwischen den beiden Zimmern. »Sie hatte Nachtschicht. Das dauert jetzt zehn Minuten, dann schläft sie. Soll ich ihr sagen, sie soll ausmachen?«
»Nein«, sagte ich.
»Möchten Sie noch einen Saft?«
»Nein, danke«, sagte ich.
»Hat er Ihnen nicht geschmeckt?«
»Doch«, sagte ich. Ich stellte den Becher auf den Schreibtisch und nahm meinen kleinen karierten Spiralblock aus der Hemdtasche. »Hat sich Ihr Vater nicht gewundert, dass Cölestin Ihre Nummer wissen wollte?«
»Klar hat er sich gewundert, er hat mich auch angerufen deswegen. Und danach hat er mich ungefähr dreimal pro Woche gefragt, ob sich Cölestin schon gemeldet hat. Hat er nicht, hab ich ihm gesagt, er soll sich beruhigen.«
»Sie haben ihn angelogen«, sagte ich.
Nike kratzte sich am Ohr und lehnte sich gegen das Fensterbrett. »Cölestin hat zweimal angerufen, ich hatt den Eindruck, er wollt mit jemand reden, er hat gesagt, er geht jede Woche in die Spitzwegausstellung, und das wär für ihn wie nach Hause kommen.«
Obwohl diese Bemerkung seltsam und verschroben klang, war ich sofort ganz erfüllt von dem Gedanken, dass Cölestin Korbinian zu Nike die Wahrheit gesagt hatte.
Offenbar dauerte meine innere Wanderung durch efeubewachsene Gärten und von der Rache der Zeit verschont gebliebene Städte und Zimmer so lange an, bis Nike mich am Hemdsärmel zupfte.
»Hallo? Ground control to Major Tom!«
»Woher kennen Sie dieses Lied?«, sagte ich sofort.
»Aus dem Radio«, sagte sie, ging zur Matratze und hob die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug auf.
»Ich habe mir vorgestellt, wie Cölestin zu Hause ist«, sagte ich.
Nike zündete sich eine Zigarette an und deutete mit der brennenden Spitze auf die Zwischentür. Im Nebenzimmer war es still geworden.
Ich schwieg. Nike rauchte, hustete, kratzte sich am Bauch. Nachdem sie die Zigarette fast zu Ende geraucht hatte , sagte sie: »Er wird halt bei dieser Freundin sein.«
»Ich kenne seine Freundin«, sagte ich. »Bei ihr ist er nicht.«
»Dann hat er halt noch eine.«
Weil ich nichts sagte, meinte sie: »Glaubt man gar nicht, dass so ein biederer Mann wie der Cölestin ein Doppelleben führt.«
Ich sagte: »Was für ein Doppelleben?«
»Sie sind wirklich ein eigenartiger Polizist!« Nike drückte die Zigarette aus und stellte den Aschenbecher aufs Fensterbrett. »Der Mann führt doch ein Doppelleben, oder wie würden Sie das nennen? Gibts da einen Spezialausdruck bei der Polizei?«
»Wichtig ist, er führt ein Leben«, sagte ich.
»Ah ja?«
»Er könnte auch tot sein«, sagte ich, als wäre es jetzt an der Zeit, Weisheiten zu verteilen.
»Stimmt!«, sagte Nike. »Ist er aber nicht. Gestern hat er auf jeden Fall noch gelebt. Und nach Alkohol gerochen.«
»War er betrunken?«
»Nee.«
Ich malte Kreise auf den karierten
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