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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Leute blieben stehen und musterten mich wie eine Statue oder einen dieser Künstler der Bewegungslosigkeit, die sich roboterhaft verbeugten , wenn jemand ihnen eine Münze hinwarf.
    Drei Stunden stand ich da und rührte mich nicht von der Stelle. Frauen wuschen Obst im Brunnen, Kinder tranken daraus, ein Dobermann zerrte an der Leine seines Besitzers, gierig mit der Schnauze auf mich zeigend. Auf der Straße vor dem Rischart-Café und den Metzgereien fuhren Taxis, Streifenwagen und Linienbusse vorüber. Ich bewegte mich nicht. Ein leichter Wind wehte. Im Hintergrund ragte der Turm von St. Peter auf.
    Und dann ging ich los.
    Ich kaufte eine Eintrittskarte bei dem Mann mit den Pupillen, die in verschiedene Richtungen blickten, und er sah mich an, sagte aber nichts, und ich glaubte, dass er mich wiedererkannte.
    Der Anfang der Treppe bestand aus Steinstufen, es war eng und schwül, und ich schwitzte schon auf der ersten Ebene. Schritte hallten wider. Ich hörte Stimmen, Gelächter und Husten. Ich ging an bekritzelten Eisentüren vorüber, an Absperrgittern und Balken, Etage für Etage, deren Zahl auf roten Schildern angezeigt wurde. Zwischendurch verengte sich die Treppe wieder. Ich keuchte, lehnte mich an die Wand, ließ entgegenkommende Besucher vorbei. Durch schmale Fenster war Licht zu sehen, wie weit entfernt. Ich ging zu schnell. Ich schwitzte vor Anstrengung und Enge. Die Treppe hörte nicht auf. Auf jedem Absatz hielt ich inne und schnappte nach Luft.
    Selten hatte ich mich derart fett gefühlt. Und verrostet. Von der vierzehnten Etage führte eine Tür ins Freie auf die Aussichtsgalerie.
    Ich trat nach draußen und lehnte mich gegen die Wand, den Mund weit geöffnet, und sah über die Dächer und Türme der Stadt, über die winzigen Menschen hinweg, die viel befahrenen Straßen und die begrünten Plätze.
    Italiener, Franzosen und Japaner zwängten sich an mir vorbei. Mir war schwindlig. Vorsichtig tastete ich mich am Geländer entlang, warf einen schnellen Blick hinunter auf den Marienplatz, wo früher die Hinrichtungen stattfanden, zu denen das »Armesünderglöcklein« von St. Peter läutete, bog um die Ecke und beeilte mich, die Tür ins Innere zu erreichen.
    Ich hatte wirklich geglaubt, hundert Meter über der Stadt Cölestin Korbinian anzutreffen.
    Und als ich mich zur Treppe wandte, um hinunterzugehen und meiner Lächerlichkeit ein Ende zu bereiten, bemerkte ich eine Nische mit zwei Fenstern und einer hölzernen Eckbank.
    Und auf der Bank saß, den Kopf mit dem Strohhut an die Wand gelehnt, die Hände im Schoß, mit hochgestelltem Hemdkragen, Cölestin Korbinian und schlief.

13
    I n der Schule, erzählte er, haben sie ihn den Postler genannt, und er verstand nicht, wieso. »Heute versteh ichs, weil ich bin ja einer.« Er trug eine Umhängetasche, damals, mit einem langen Lederriemen, und oft sammelte er vor dem Unterricht die Hefte und Blocks seiner Mitschüler ein, und wenn sie dann alle auf ihren Plätzen saßen, verteilte er sie wie Geschenke oder Briefe.
    »Das ist daher gekommen, dass meine Mutter bei der Post war, eine Zeit lang hat sie die Zustellungen gemacht.« Er aber, sagte er, habe gar kein Postler werden wollen.
    »Sondern Fernmeldetechniker.« Das habe sich dann nicht ergeben.
    »Wollten Sie immer Polizist werden?«, fragte Cölestin Korbinian.
    »Nein«, sagte ich. »Ich wusste nicht, was ich werden sollte.«
    »Nicht mal Lokomotivführer oder Feuerwehrmann?«
    »Nein«, sagte ich. »Nichts. Ich wollte wahrscheinlich nichts werden.«
    »Welchen Beruf hat denn Ihr Vater gehabt?«
    »Ingenieur.«
    »In einer Fabrik?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und Ihre Mutter?«
    »Sie war eine Hausfrau«, sagte ich. »Aber die meiste Zeit war sie krank. Sie starb, als ich dreizehn war.«
    »Mein Vater«, sagte Korbinian, »starb, da war ich neun. Schlaganfall. Stand in der Küche, und ich seh ihn, wie er umfällt. Ganz langsam. Er ist ganz langsam umgefallen.
    Er hat sich noch festhalten wollen, am Tisch, am Büfett, seine Hand hat danebengegriffen, das hab ich genau gesehen. Es ist mir vorgekommen, als wüsste mein Blick schon, was im nächsten Moment passiert. Ich schau hin, und dann passiert es, er kippte zu Boden und blieb liegen, mein Vater. Er war ein stattlicher Mann, groß wie ich, kräftig, breite Schultern, strammer Hals. Und ich hab kein Geräusch gehört. Das ist eigenartig, immer noch.
    Wenn ich dran denke, versuch ich hinzuhorchen. Ob da was klirrt, was scheppert, ob da ein Quietschen ist von

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