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Süden und der glückliche Winkel

Süden und der glückliche Winkel

Titel: Süden und der glückliche Winkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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beratschlagen, dieses angeblich älteste Lokal Münchens betraten. Und hier saßen wir den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend als einzige Gäste, und die Bedienung schien sich nicht daran zu stören.
    Cölestin Korbinian sah genauso aus, wie seine Frau ihn beschrieben hatte, er trug seine dunkle Hose und sein hellblaues Hemd, dessen Farbe er coelinblau nannte, dazu den Strohhut mit dem Stoffband über der Krempe.
    Keine Jacke, keinen Mantel.
    Bevor ich ihn geweckt hatte, hatte ich mich neben ihn gesetzt und ebenfalls die Augen geschlossen. Vielleicht war ich eingeschlafen. Auf dem Turm verweilten wir nur noch kurz, Korbinian sagte, nachdem er sich übers Gesicht gerieben und mir die Hand geschüttelt hatte, es habe keinen Sinn, Ausschau zu halten, wenn man kein Spektiv besitze, und seines habe er irgendwo verloren, das ärgere ihn. Ich fragte ihn, was er sich vom Ausschauhalten verspreche und ob er etwas Bestimmtes suche, und er antwortete: »Jetzt nicht mehr.« Er habe endlich ein Zimmer mit Blick auf den Alten Peter gefunden, von seinen Fenstern aus sehe er, auch ohne Spektiv, die Gassen, Häuser und Menschen, die seine Heimat ausmachten.
    »Sie sind zu Hause«, sagte ich.
    »Ich lebe mitten in der Stadt«, sagte Korbinian, »und bin doch für mich. Besser kann man nicht leben.«
    »Sie sind gern allein«, sagte ich.
    »Gibt es eine andere Lebensform?«, sagte er.
    »Sie sind verheiratet.«
    »Glauben Sie, mit einer Hochzeit hört das Alleinsein auf? Sind Sie verheiratet?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum nicht?«
    »Es hat sich nicht ergeben.«
    »Ich«, sagte Korbinian, »bin verheiratet, weil es sich so ergeben hat. Ich war zweiundzwanzig, meine Frau vierundzwanzig. Ich war Beamter, eine gute Partie.«
    »Wollten Sie keine Kinder?«, sagte ich.
    »Es kamen keine. Meine Frau wurde nicht schwanger. Ich hab ihr nie Vorwürfe gemacht.«
    »Vielleicht lag es an Ihnen«, sagte ich.
    »Das weiß ich nicht«, sagte Korbinian. »Ich hatte dann kein sexuelles Bedürfnis mehr. Aber das konnte ich ihr nicht sagen, das ist verletzend, wenn Sie so was zu Ihrer Frau sagen. Ich hab sie angelogen, ich hab ihr gesagt, ich wär impotent, das war ein toller Einfall, so toll, dass ich gleich zum Urologen gegangen bin und ihm dasselbe erzählt hab. Er hat mich fachmännisch untersuchen wollen, das hab ich abgelehnt. Verurteilen Sie mich?«
    Ich sagte: »Ich verurteile niemanden.«
    »Ich verrat Ihnen was, ich hab eine Freundin jetzt. Ein junges Mädchen, neunzehn, sie arbeitet in einer Wäscherei, sie kommt aus armen Verhältnissen, ihre Eltern stammen aus Rumänien, ich besuch sie im Waschsalon und bring ihr Blumen mit, sie freut sich unbändig darüber. Sie hat mich auch schon geküsst. Hat aber niemand gesehen. Meist hat sie eine blaue Schürze an, Sie können sie nicht übersehen, ihre Haare hat sie hochgesteckt, und sie hat ein stolzes, strenges Gesicht. An den Wochenenden geht sie putzen. Auch in meiner Wohnung, meiner Stube.«
    »Sie haben nur ein Zimmer«, sagte ich.
    »Braucht man mehr als ein Zimmer?«, sagte Korbinian.
    »Nein«, sagte ich. »Ein Zimmer genügt.«
    »Sie putzt, und dann unterhalten wir uns. Sie erzählt mir von ihrer grauen Kindheit und dass sie sich immer gewünscht hat, fliegen zu können oder unsichtbar zu werden, damit sie ein eigenes Leben führen kann, ein richtiges, ein heiteres. Ich koch ihr Kaffee. Sie ist gierig nach Kaffee. In ihrer Heimat hat sie nie welchen getrunken, sie kannte den Geruch nicht mal. Kaffee ist eine Köstlichkeit. Sollen wir einen bestellen?«
    »Unbedingt«, sagte ich.
    Wir tranken jeder eine Tasse schwarzen Kaffees und schwiegen. Als die Bedienung frisches Bier brachte, sagte ich: »Möge es nützen!«
    Wir stießen mit den Gläsern an.
    »Wenn Annegret von Elena erfahren würd, wär sie gleich eifersüchtig«, sagte Korbinian.
    »Annegret ist auch eine heimliche Freundin von Ihnen«, sagte ich.
    »Keine Heimlichkeiten mehr!«, sagte Korbinian. »Ich bin hier! Die Fremde war früher.«
    »An der Hauptfeuerwache haben Sie in der Fremde gelebt«, sagte ich.
    »Ich bin mein Leben lang fremdgegangen«, sagte Korbinian. »Auf und ab. Hin und her. Tag und Nacht. Das hat aufhören müssen, das war nicht mehr auszuhalten für mich. Vor drei Monaten bin ich fünfzig geworden. Ein falscher Fünfziger. Keine Lust mehr. Wie alt sind Sie?«
    »Vierundvierzig«, sagte ich.
    »Ich hätt Sie älter geschätzt«, sagte Korbinian. »Das ist aber nicht abfällig gemeint, Sie haben halt ein

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