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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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heruntergelassener Hose auf dem Boden, und die kleine Anna hat sich bestimmt zu Tode erschrocken. Aber sie hat hingeschaut, und nicht nur eine Sekunde. Hat er geschrieben, Sie haben es gelesen, ja. Er konnt so schnell nicht damit aufhören. Er hat das Mädchen ja nicht gleich bemerkt . Und dann wollt er mit ihr reden, später. Sie ist so erschrocken gewesen, dass sie mit niemand darüber gesprochen hat. Aber schließlich wollt sies doch tun, weil sies nicht mehr ausgehalten hat, und das versteh ich ja . Ich versteh das. Sie auch?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Lieselotte Feininger. »Und deswegen hat sie sterben müssen. Wieso hat er denn nie mit mir geschlafen? Wieso nicht? Wenn er mit mir geschlafen hätt, und die kleine Anna hätt uns erwischt, dann würd sie noch leben, ganz bestimmt. Und er auch. Und wir wären zusammen. Und die blöden alten Weiber würden grün anlaufen vor Neid und Missgunst, ja, und wir würden wegziehen, er und ich mit der Sabrina, und er hätt noch ein langes Leben vor sich, trotz seines Magengeschwürs, und die Sabrina würd auch nicht mehr weglaufen dauernd, und so … Und so, ja.«
    Sie griff nach meinem Arm. »So wärs gekommen, nicht? Ja!«

12
    » I ch bin dafür, die Wahrheit zu verändern«, sagte Martin am Tisch, an dem gewöhnlich die Kartenspieler saßen .
    Ich sagte: »Ich auch.«
    »Vorausgesetzt, es gibt sonst keine Zeugen.«
    »Wen?«
    »Die Haushälterin«, sagte Martin.
    »Sie würde nie etwas aussagen, das ein schlechtes Licht auf ihren Pfarrer werfen könnte.«
    Martin zündete sich eine Zigarette an. »Das Beste wär, er wär nicht allein gewesen.«
    »Natürlich«, sagte ich.
    Hinter mir hörte ich Irmi mit einer Frau sprechen, die im Hotel als Zimmermädchen arbeitete .
    »Du bist undankbar, Silvia.«
    »Ist doch nicht meine Schuld, wenn nichts los ist!«
    Weiter hörte ich nicht zu. »Ich werde mit ihr darüber sprechen«, sagte ich. »Wenn sie nicht einverstanden ist, müssen wir den Inhalt des Briefes bekannt geben.«
    »Und wenn Marienfeld was dagegen hat?«, sagte Martin .
    Ich schwieg und trank Wasser und schaute hinaus auf die Terrasse, auf der Irmi die Sitzkissen von den Stühlen genommen und an der Wand gestapelt hatte, damit sie in der Sonne nicht ausblichen.
    »Du solltest das Ehepaar Jagoda auf den Verein ›Verwaiste Eltern‹ aufmerksam machen«, sagte Martin. »Die Frauen da wissen, wie es ist, wenn man ein Kind verloren hat.«
    Ich sagte: »Die Kollegen werden den Jagodas die Adresse geben.«
    »Hoffentlich.«
    Wie ich stellte er sich vielleicht den Moment vor, wenn Elmar Marienfeld Miriam und Severin Jagoda erklärte, ihre Tochter sei tot aufgefunden haben. Oder wenn er ihnen mitteilte, der Entführer habe sich in einem Abschiedsbrief zu erkennen gegeben und darin auch den Fundort der Leiche beschrieben.
    In den Stunden danach würden in der Wohnung am Finkenweg die Wände gefrieren und die Eltern die Arktis leugnen, in die sich das Kinderzimmer innerhalb von Sekunden verwandelte. Damit sie in der Eisesstille nicht vollkommen allein zurückbleiben mussten, versuchten Kollegen vom polizeiinternen Kriseninterventionsteam die Hinterbliebenen zu begleiten, zumindest von einer Wand zur anderen, von einer Tür zur anderen, von einem Erwachen zum nächsten. Manchmal stießen sie mit ihrer Hilfe auf Widerstand und Ablehnung, manchmal erschien es ihnen vernünftig, nur ein paar Stunden anwesend zu sein, das Geschirr zu spülen, Kaffee zu kochen, Brote zu schmieren, Anrufer abzuwimmeln und am Ende Adressen von Psychologen, Ärzten oder sozialen Organisationen dazulassen, nichts weiter. Dagegen sahen die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins »Verwaiste Eltern« ihre Aufgabe darin, auch noch Tage und Wochen nach dem ersten Schock den Müttern in ihrem Aufbegehren gegen Gott und dem vor Schmerz berstenden Schweigen der Väter Beistand zu leisten.
    Martin hatte schon lange ausgetrunken, als er sagte: »Warum macht er so was im Wohnzimmer? Ohne die Vorhänge zugezogen zu haben? Am helllichten Tag? Und warum hat er nie mit dieser Frau geschlafen? Und warum musste das Mädchen sterben? Was für ein Abschaum, dieser Pfarrer!«
    »Er hat sich erhängt«, sagte ich.
    »Was meinst du damit?«, sagte Martin. »Soll ich ihn beweinen?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Falsch!«, sagte Martin und ballte die Faust, was er sonst nie machte. »Wir ändern die Wahrheit nicht. Wozu? Soll dieses gottlose Taging auf ihn spucken!« Er zündete sich eine Zigarette an und spuckte

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