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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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a-Moll, C-Dur, G-Dur und e-Moll spielte, ohne dazu zu singen, hörte ich zu, dann begann ich mit beiden Händen abwechselnd auf die Tischplatte zu klopfen.
    »Etwas schneller«, sagte Johann. »Okay. Die erste Strophe beginnt …«
     
    Crickets are chirpin’, the water is high,
    There’s a soft cotton dress on the line hangin’ dry …
     
    Er schlug heftiger in die Saiten, zupfte zwischendurch, und seine Stimme klang kraftvoller, als ich es erwartet hatte. »Gut«, sagte er. »Nach dem Refrain kannst du kurz aussetzen.«
     
    … There was dust on the man in the long black coat …
     
    Ich trommelte und hielt abrupt inne, wartete, bis er zu C-Dur und G-Dur zurückkehrte, und bemühte mich, den verschrobenen Rhythmus des Liedes wieder aufzunehmen.
    In der Durchreiche zur Küche erschien der breite Kopf eines Mannes, der eine weiße, verschmutzte Kochjacke trug. Und in der Tür, durch die Johann vorhin hinausgegangen war, um sein Instrument zu holen, tauchte die junge Frau auf, die an dem Tag, als ich Martin von meiner Begegnung mit Lieselotte Feininger erzählte, mit Irmi gestritten hatte. Sie lehnte sich an den Türrahmen und hörte uns neugierig zu, während der Koch nach wenigen Sekunden den Kopf schüttelte und die Klappe herunterknallen ließ.
     
    … Preacher was a-talkin’, there’s a sermon he gave,
    He said everyman’s conscience is vile and depraved …
     
    »Wie Marc Bolan und Mickey Finn!«, sagte Johann laut und sang: »You cannot depend on it to be your guide … Ich wär ja schon tot, aber was ist eigentlich aus Mickey Finn geworden? Keine Ahnung … When it’s you who must keep it satisfied …«
    Mitten im Singen warf er das Plektron auf den Tisch und nahm den Fuß vom Stuhl und packte die Gitarre am Hals .
    »Verdammt, dein Zug fährt gleich!«
    »Erst in zwanzig Minuten«, sagte ich und spürte ein Brennen in meinen Händen.
    »Du musst los!«, rief Johann aufgeregt. »Heut fährt später keiner mehr!«
    Seltsam verwirrt griff er nach dem dreieckigen Plastikteil und rannte, die Gitarre an die Brust geklemmt, zur Tür, an der das Zimmermädchen erschrocken zurückwich .
    Meine grüne Reisetasche stand gepackt neben meinem Stuhl, sie war etwas voller als bei meiner Ankunft. Anstatt nur eine oder zwei Nächte zu bleiben, hatte ich acht Tage im Dorf verbracht und mir deshalb mehrere Unterhosen, T-Shirts, Socken und zwei Hemden gekauft. Aus meiner Absicht, Sonja vom Flughafen abzuholen, war nichts geworden, da sie ihren Urlaub auf Lanzarote um drei Tage verlängert hatte und erst am Mittwoch zurückgekommen war, einen Tag vor Annas Beerdigung. Diesen Mittwoch hatte ich bis zum Einbruch der Dunkelheit in meinem Zimmer im »Koglhof« verbracht, unterwegs in Erinnerungen, gepfählt von Abschied .
    »Kommst eh nicht wieder«, sagte Johann Gross auf der Hoteltreppe, die zur Bahnhofstraße hinunterführte .
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich.
    Er gab mir die Hand. »Servus, Süden. Jetzt bist noch berühmter als vorher.«
    »Ich bin nicht berühmt«, sagte ich .
    »Noch was«, sagte er, und wieder schlängelte sich wie ein Rinnsal ein Lächeln durch sein verdorrtes Gesicht . »Wenn ich mal verschwind, dann suchst mich bittschön nicht, ich möcht dann nämlich meine Ruh. Versprochen?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Jetzt schleich dich«, sagte Johann Gross .
    Ich überquerte die Straße zum Bahnhof, wo auf Gleis eins der Zug bereitstand. Der Mann am Fahrkartenschalter sagte kein Wort zu mir, und die Leute, die mit mir zum Bahnsteig gingen, warfen mir steinige Blicke zu. Ich ließ ihnen allen den Vortritt.

13
    A n einem heißen, stickigen Tag wie jenem, an dem ich auf Gleis siebenundzwanzig aus Taging ankam, verließ ich den Münchner Hauptbahnhof auf Gleis sechzehn in einem »Eurocity«. Niemand brachte mich zum Zug, niemandem hatte ich Bescheid gesagt, nicht einmal Frau Schuster, meiner Nachbarin in der Deisenhofener Straße, die zwar wusste, dass ich ausziehen wollte, aber nicht, dass ich seit drei Tagen in einer leeren Wohnung hauste, nachdem meine wenigen Möbel – ein Bett, ein Schrank, eine Couch, zwei Tische, vier Stühle, mehrere Bücherregale – abgeholt und in den Wertstoffhof gebracht worden waren. Von meinen Büchern behielt ich ausschließlich die dreibändige Taschenbuchausgabe der van-Gogh-Briefe und einen Band mit Hölderlin- und einen mit Rilke-Gedichten. Den Rest verschenkte ich an die Giesinger Stadtbibliothek. Mit dem Geld, das sich im Lauf der Jahre zwecklos auf meinem Konto

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