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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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äußeren Entfernung zum Trotz, am nächsten stand?
    Warum gelang es mir nicht, bloß Polizist zu bleiben?
    »Die Frau eines Kollegen ist heute Mittag gestorben«, sagte ich. Und schlug die Hände vors Gesicht wie ein Kind, das glaubt, dass niemand es dann sieht.

13
    A ls Franziska Hrubesch und ich das Gasthaus verließen und in ein Taxi stiegen, fiel mir etwas ein, das Holzapfel erzählt hatte, und ich dachte, ich sollte es nachprüfen. Doch dann vergaß ich es wieder. Vielleicht weil ich ein Bier zu viel getrunken hatte, vielleicht weil ich an niemand anderen als an Paul Weber denken konnte.
    Dank meiner trunkenheitsbedingten Beharrlichkeit gelang es mir, die alte Frau davon zu überzeugen, in einer kleinen Pension zu übernachten, bis die Leiche ihrer Tochter freigegeben wurde. Bis dahin habe sie Zeit, erste Vorbereitungen für die Beerdigung zu treffen, wobei sie noch nicht entschieden hatte, ob sie die Leiche nach Burghausen überführen solle.
    »Ist das pietätlos, wenn ich sie hier in der Stadt begrabe?«, fragte sie.
    »Natürlich nicht«, sagte ich.
    Ein paar hundert Meter von meiner Wohnung entfernt gibt es eine Gaststätte mit Hotelbetrieb im ersten Stock. Manchmal ziehe ich dort ein, wenn mir die Wände zu nah kommen oder ich mir einbilde, in einem fremden Zimmer wäre ich leichter anwesend.
    Schon als Jugendlicher empfand ich das Wort Fremdenzimmer wie einen Trost: Hier ist auch für einen Fremden gedeckt, dachte ich, hier werde ich als Fremder einmal unterkommen. Und bis heute habe ich noch kein Jahr in dieser Stadt verbracht, ohne mich einige Tage oder sogar Wochen wie jemand zu fühlen, der nicht hierher gehört, der auf der Straße plötzlich die Orientierung verliert, der sich in einem Hotel einmieten muss, um zur Ruhe zu kommen.
    »Hab schon gedacht, du bist krank«, sagte Rollo zur Begrüßung.
    Roland Zirl war der Wirt der »Brecherspitze« und betrieb die Pension.
    Ich stellte ihm Frau Hrubesch vor.
    »Zimmer 5 ist frei«, sagte Rollo.
    »Aber ich bezahl alles selber!«, sagte Franziska Hrubesch. Das hatte sie, nachdem ich sie endlich überzeugt hatte mein Angebot anzunehmen, schon mehrmals erklärt.
    »Die Dame zahlt nichts«, sagte ich zu Rollo. »Wir rechnen das über das Dezernat ab.« Grundsätzlich hatten wir nur einen Zeugenetat, ein Formular für die Unterbringung von Angehörigen existierte nicht, also würde ich tricksen und mich im schlimmsten Fall bei Volker Thon andienen müssen.
    »Das ist mir nicht recht«, sagte die alte Frau.
    »Macht nichts«, sagte ich.
    Ich hinterließ ihr mehrere Telefonnummern und versprach, mich spätestens am nächsten Morgen zu melden. Dann steckte ich Rollo fünfzig Euro Vorschuss zu.
    Bis zum Taxistand am Ostfriedhof ging ich zu Fuß. Es war später Nachmittag und kalt und grau. Was ich jetzt im Dezernat sollte, wusste ich nicht genau. Vielleicht wäre es besser gewesen, direkt ins Schwabinger Krankenhaus zu fahren. Womöglich waren meine Kollegen dort.
    Trotzdem ließ ich mich in die Bayerstraße fahren. Meine Kollegen hatten sich alle in Thons Büro versammelt, nur Martin fehlte.
    »Paul hat uns gefragt, ob wir zu ihm nach Hause kommen wollen«, sagte Karl Funkel, der Leiter des Dezernats 11, mit dem ich befreundet bin, wenn auch auf eine distanzierte Art. »Volker, Sonja, Martin, du und ich.«
    »Warum so schnell?«, fragte ich. Am Telefon hatte mir Rolf Stern nichts weiter gesagt.
    Funkel, der über dem linken Auge eine schwarze Klappe trug, schüttelte den Kopf.
    »Sollen wir was mitbringen?«, fragte Sonja.
    »Was?«, fragte Funkel. Niemand wusste eine Antwort.
    Wir brachten gelbe Chrysanthemen mit, Brot, Wurst und Käse, dazu vier Flaschen Rot und Weißwein. Als wir in die Wohnung kamen, hatte Weber schon den Tisch gedeckt. Er empfing uns mit einer weißen Schürze, die er sich umgebunden und vergessen hatte abzunehmen.
    Wir umarmten uns. Niemand sagte ein Wort. Sonja ging in die Küche, um das mitgebrachte Essen auf Teller zu verteilen, Funkel, der ihr helfen wollte, wurde von ihr zurück ins Wohnzimmer geschickt.
    Zu dritt standen wir um unseren Kollegen, in dem kleinen Zimmer, in dem ich mit ihm gesessen und ein spätes Bier getrunken hatte. Paul hatte noch zwei weitere Stühle geholt.
    Nach einer Weile ging Funkel wieder in die Küche.
    »Wo bleibt Martin?«, fragte Thon.
    Ich hatte keine Ahnung. Seit zwei Tagen hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Er recherchierte den ganzen Tag im Fall der beiden verschwundenen Mädchen und abends

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