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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Laubblatt einzeln wegzutragen. So war er, er hat an nichts anderes gedacht als daran, uns drei über die Runden zu bringen. Und das hat er geschafft. Noch eine Woche vor seinem Tod hat er die Fertigstellung einer Brücke beaufsichtigt, da hatte er schon Morphium im Leib, anders hätt er… anders…«
    Er senkte den Kopf.
    Sonja machte eine Bewegung um aufzustehen, aber Funkel schüttelte den Kopf.
    »Ihr müsst was essen«, sagte Weber und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, die Bierflasche in der Hand. Er sah uns an, einen nach dem anderen, und es kam mir vor, als wäre es ihm lieber, wir würden jetzt gehen.
    »Das Herz hat nicht mehr mitgespielt«, sagte er. »Hat die Medikamente nicht mehr verkraftet. So was kommt vor, das kann man nicht kontrollieren. Das ist schwer zu messen, schwer…« Wie immer hatte er die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, und wir sahen die dichten grauen Haarbüschel auf seinen Unterarmen. »Ich war grad draußen im Park, die Schwester hat gesagt, ich soll eine Runde spazieren gehen, war auch angenehm in der kühlen Luft. Ich war nicht lang weg, eine halbe Stunde. Als ich zurückkam, hieß es, ich muss in die Intensivstation, da bin ich hin, da hab ich dann gewartet. Die Schwestern haben mir Kaffee gebracht, das war nett. Dann ist der Oberarzt gekommen. Ich hab an seinem Gang gesehen, dass er nichts Gutes zu sagen hat.«
    Er schwieg lange. Trank sein Bier aus, strich über die Flasche, fast zaghaft.
    In der Ecke tickte die antike Uhr.
    »Ich hab mich von ihr verabschiedet«, sagte Weber und sah uns nicht an. »Sie haben mich allein mit ihr gelassen. Früher, als Kind am Chiemsee, da hab ich gedacht, ich bin allein, sogar einsam. Aber heut Mittag, in dem hellen Raum, neben Friedes Bett, da hab ich gewusst, allein und einsam ist man nur, wenn man neben seiner toten Frau sitzt. So allein ist man nicht mal in der allerbeschissensten Kindheit. So allein ist man nur im Krankenhaus ganz am Schluss.«
    Er stand auf und ging hinaus. Wir hörten eine Tür schlagen.
    »Soll jemand von uns heut Nacht hierbleiben?«, sagte Sonja.
    »Wir fragen ihn«, sagte Funkel.
    Ich stand ebenfalls auf und suchte zwischen den dicht stehenden Möbeln eine Stelle, wo ich mich an die Wand lehnen konnte.
    Funkel griff nach Sonjas Hand und hielt sie fest. Bis vor kurzem hatten sie zusammen gewohnt und die Absicht gehabt zu heiraten. Inzwischen lebte jeder von ihnen wieder allein.
    Nach zwei Stunden sagte Weber: »Würd es euch was ausmachen zu gehen?«
    Natürlich wollte Sonja ihm helfen, das Geschirr abzuräumen, aber er verbot es ihr.
    »Ich kann sowieso nicht schlafen«, sagte er.
    An der Tür umarmten wir uns wie bei der Begrüßung.
    »Danke, dass ihr da wart!«, sagte Weber.
    Im Hausflur wartete ich noch, bis er die Tür schloss. Er machte sie sehr langsam zu, so als müsse er darauf achten, jemanden, der in der Nähe schlief, nicht zu wecken.
    Dann lehnte ich meine Stirn an die Tür, drückte beide Hände flach dagegen und schloss die Augen. Meine Kollegen waren längst auf der Straße, da beugte ich mich zurück, die Hände weiter gegen die Tür gepresst, und sagte leise das Gedicht, das mir Paul bei meinem Besuch vorgelesen und von dem ich bis zu diesem Moment nicht gedacht hätte, dass ich es Wort für Wort wiedergeben könnte.
    »Die laubigen Laubfrösche bitten laut / der Morgen stellt sich häufig taub und blind / mit Laub auf den Stimmen mit Zungen betaut / für alle die im Herzen barfuß sind.«
    In der Stille, die folgte, kam es mir vor, als hörte ich ein Scharren hinter der Tür. Wahrscheinlich täuschte ich mich. Ich wandte mich um und ging die Treppe hinunter.
    Vor dem Haus warteten meine Kollegen in Thons Auto auf mich. Das Seitenfenster war offen.
    »Fährst du mit?«, fragte er.
    »Nein«, sagte ich.
    Ich bückte mich, um einen Blick ins Innere des Wagens zu werfen. Sonja saß auf dem Beifahrersitz, sie sah kurz zu mir her. Auf der Rückbank kratzte sich Funkel an der Oberkante seiner Augenklappe und sah mich mit seinem rechten, gesunden Auge traurig an. Ich war mir nicht sicher, ob es richtig war, dass wir Weber allein gelassen hatten.
    »Bist du morgen im Urlaub oder arbeitest du weiter für den Mord?«, fragte Thon.
    Ich sagte: »Ich arbeite im Urlaub weiter für den Mord. Läuft die Fahndung nach Holzapfel?«
    »Morgen ist sein Bild in der Zeitung.«
    »Gute Nacht!«, sagte ich.
    Funkel winkte mir zu. Thon wendete mit dem Auto, und sie fuhren weg.
    Wo war Martin Heuer? Warum hatte

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