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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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betrachtete seine leere Teetasse und wollte gerade der Bedienung winken, als er stutzte. Er sah in eine bestimmte Richtung und schüttelte schnell den Kopf, bevor ich reagieren konnte. Also wartete ich ab ohne mich umzudrehen.
    Wir saßen am Tresen in der Mitte des Bistros, und weil Martin sich schräg auf den Hocker gesetzt hatte, konnte er sehen, was hinter meinem Rücken passierte.
    »Da sitzt ein Kerl, der beobachtet uns«, sagte er leise. »Er ist vor ungefähr einer halben Stunde reingekommen, wahrscheinlich hatten wir mal was mit ihm zu tun, ich kann mich nicht an ihn erinnern, er aber an uns, scheint mir… «
    »Hat er ein hellblaues Blouson an?«, fragte ich. Und hoffte, Martin würde Nein sagen.
    »Ja«, sagte er.
    »Dann hör zu!« Ich erzählte ihm die Sache mit Jeremias Holzapfel und beschrieb den Mann.
    »Das ist er«, sagte Martin.
    »Er muss mir gefolgt sein und ich habe es nicht gemerkt.«
    »Das wundert mich nicht«, sagte er. »Sollen wir die Kollegen rufen?«
    Nebenan befand sich die Direktion der Bahnpolizei.
    »Nein«, sagte ich.
    Ich stand auf und ging zu Holzapfel.
    »Hören Sie auf mich zu verfolgen«, sagte ich.
    Der Mann sah mindestens so müde aus wie Martin, er trug dieselben Sachen wie am Vortag, und sein struppiges Haar stand ihm vom Kopf ab.
    »Verzeihen Sie«, sagte er mit müder Stimme.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte ich.
    »Ich bin wieder da.«
    »Kann ich Ihren Ausweis sehen, ich bin Polizist.« Martin Heuer war ebenfalls an den Tisch gekommen.
    Mechanisch griff Holzapfel in die Innentasche seines Blousons und holte seinen roten, in einer Plastikfolie steckenden Pass hervor. Martin blätterte darin und gab ihn zurück.
    »Haben Sie eine Waffe?«, fragte er.
    »Nein.« Unaufgefordert öffnete Holzapfel den Reißverschluss des Blousons und hielt es mit beiden Händen auf.
    »Sorry, Cops.«
    Susi, die Bedienung, stellte ein kleines Glas Mineralwasser auf den Tisch.
    »Noch einen Wunsch?«
    Holzapfel schüttelte den Kopf. Susi warf uns einen Blick zu und ging zum nächsten Gast.
    »Wenn Sie nicht aufhören, meinen Kollegen zu belästigen, müssen wir Sie festnehmen«, sagte Martin.
    »Ich belästige den Süden… den Herrn…« Holzapfel räusperte sich und begann in der gleichen Tonlage den Satz von vorn. »Ich belästige den Herrn Süden nicht, ich möchte, dass er zur Kenntnis nimmt: Ich bin wieder da.«
    »Das wissen wir«, sagte Martin.
    »Ja«, sagte Holzapfel. »Aber Sie wissen es nicht.« Martin kratzte sich am Kopf und schaute auf die Uhr.
    »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte ich. »Warten Sie hier auf mich, ich bin in einer Stunde zurück, dann reden wir miteinander, zum letzten Mal. Einverstanden?«
    »Ich bin da«, sagte Holzapfel.
    Während ich meine und Martins Zeche bezahlte, sagte ich zu Susi: »Pass auf ihn auf! Wenn er gehen will, sag ihm, er soll dableiben. Bring ihm was zu trinken, auch was zu essen! Ich bezahl alles.«
    Sie nickte. Vermutlich dachte sie ähnlich über uns wie meine Nachbarin: dass heutzutage merkwürdige Männer bei der Polizei arbeiteten.
    Erleichtert darüber, keinen Mord begangen zu haben, klingelte ich an der Haustür. Im Abstand von dreißig Sekunden klingelte ich siebenmal, da ich in der Sprechanlage ein Knacken gehört hatte. Jemand hatte den Hörer abgenommen, aber nichts gesagt.
    »Kriminalpolizei, Tabor Süden!«
    Keine Antwort.
    Obwohl ich mir beim Gehen Zeit gelassen hatte, dröhnte noch immer die Stimme des Taxifahrers, den ich im letzten Moment doch nicht erwürgt hatte, in meinem Kopf.
    »Die verdammten Araber… die vom Balkan… Sicherheitsrisiko… nehm ich von Haus aus nicht mit… vermummtes Pack, feiges…«
    Manchmal bereue ich meine Gewohnheit, mit dem Taxi zu fahren anstatt mit dem Dienstwagen. Aus dubiosen Gründen bilde ich mir immer wieder ein, es sei entspannender, einfach auf der Rückbank zu sitzen, die Stadt vorbeiziehen zu lassen und mich auf den aktuellen Fall zu konzentrieren. Und so geriet ich wieder an eines dieser Minushirne, die manche Taxiunternehmer offenbar bevorzugt einstellen.
    »Die Wahrheit ist… In Wirklichkeit sind diese Typen… Das weiß doch jedes Kind… Ich verrat Ihnen was…«
    Endlich summte es und ich stieß die Tür mit dem großen weißen »6c«-Symbol auf. Hinter mir hörte ich aus der Sprechanlage eine Stimme: »Hallohallo!«
    An gerahmten Alltagsfotos hinter Glas entlang ging ich die Treppe in den achten Stock hinauf.
    An einer Tür fand ich den Namen, den ich gesucht

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