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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wenig flackerte. Durch das geschlossene Fenster kam ein Luftzug.
    »Warum?«, fragte sie.
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht wollte sie es ihm sagen, und dann war er plötzlich verschwunden.«
    »Mein Gott.«
    Ich trank die Flasche leer, nahm das Glas deiner Mutter und goss im Ausguss frisches Wasser hinein. Im Kühlschrank hatte ich noch eine Flasche Bier gesehen, traute mich aber nicht, sie einfach zu nehmen. Und fragen mochte ich jetzt nicht. Ich stellte das Glas vor deine Mutter und setzte mich.
    »Trinken Sie kein Bier mehr?«, fragte sie .
    Ich blieb sitzen.
    Draußen wurde es dunkel. In der Küche war es warm. Unter dem Hängeschrank brannte eine Neonröhre .
    »Darf ich das Licht ausmachen?«, fragte ich. Deine Mutter nickte.
    Ich stand auf und drückte den Schalter. Das Kerzenlicht erhellte das Gesicht deiner Mutter nur auf einer Seite.
    »Sie kommt zurück«, sagte ich noch einmal. »Sie sucht ihren Vater, aber sie kommt zurück. Sie lässt Sie nicht im Stich.«
    »Sie leidet unter mir«, sagte deine Mutter. Und wieder legte sie die Hand auf das Pflaster am Unterkiefer. Manchmal schien jedes Wort eine Qual für sie zu sein.
    »Wie leidet sie?«, fragte ich.
    »Sie kommt nicht raus hier. Sie hat kein Geld, sie … sie ist abhängig von mir …«
    »Sie ist neunzehn«, sagte ich.
    »Ja, neunzehn, aber ihre Freundinnen sind in der Ausbildung oder an der Uni, sie hängt rum, verdient kein Geld, singt nur, singt und singt. Und hockt hier mit mir in Neutrudering, das ist doch keine Welt für sie …«
    »Hilft sie Ihnen nicht nach Ihrem Unfall?«
    »Natürlich hilft sie mir …« Sie hatte zu schnell gesprochen und verzog das Gesicht, seltsamerweise nur auf der Seite, die von der Kerze nicht beschienen wurde.
    »Sie hilft Ihnen«, sagte ich. »Sie ist hier zu Hause …«
    »Blödsinn«, sagte sie.
    Blödsinn, dachte ich.
    »Zu Hause ist sie da, wo sie singt. Das hab ich schon gemerkt … Und … sie singt großartig, sie kann singen, ich weiß nicht, wo sie das gelernt hat, sie kann es. Ich kann überhaupt nicht singen und … Ob Johann singen kann, das bezweifele ich. Eine Künstlerin, noch eine … Sie kann wenigstens was. Was man von Johann nicht behaupten kann.«
    »Warum haben Sie ihm damals nicht gesagt, dass Sie ein Kind von ihm erwarten?«
    Sie brauchte lange für eine Antwort. »Wir waren schon auseinander … Ich bin weg, ich hab das nicht mehr ausgehalten, die Sauferei, das Rumgerede, das ewige Labern, das Leute-Anquatschen in den Cafés. Ich war nicht mehr verliebt. Es war aus mit uns. Ich hab Schluss gemacht. Und dann hab ich festgestellt, dass ich schwanger bin . Und … ich … ich hab schon …«
    Willst du das alles wissen, Liane? Oder weißt du es womöglich? Hat dir deine Mutter alles erzählt? Nein, ich glaube nicht. Nein.
    »Sie haben überlegt, es ihm zu sagen.«
    »Um Gottes willen!«, sagte sie. »Das wär das Letzte gewesen, dann hätt ich ihn ja wieder am Hals gehabt, nein … Ich hab überlegt, ob ich es abtreiben soll. Ich war zwanzig, ich hab studiert, Theaterwissenschaft und Germanistik, ich wär gern Journalistin geworden, vielleicht auch Regisseurin, ich hab an der Studiobühne ein paar kleine Sachen inszeniert, Dario Fo, Camus, von mir selbst bearbeitete Texte, Kleist, Kafka …«
    »Dann hat Liane ihr künstlerisches Talent von Ihnen«, sagte ich.
    Fast wäre deiner Mutter ein Lachen entglitten. Im letzten Moment hielt sie sich die Hand vor den Mund. »Ich hab kein Talent«, sagte sie undeutlich. »Ich hab das bald sein lassen, das war dilettantisch, was ich da abgeliefert hab, daraus wär nie was geworden, nein … Ich hab dann gedacht, ich mach weiter und jobb nebenher und schau mal, was sich so ergibt. Und dann hab ich erst mal mein Kind gekriegt.«
    »Sie wollten es dann nicht mehr abtreiben«, sagte ich .
    »Ich verrat Ihnen was … Ich hab mich nicht getraut. Ich bin nicht gläubig, ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber als ich dann fast entschlossen war … Ich weiß noch, es war der vierzehnte Februar, es hatte geschneit, ich kam aus der Unibibliothek und hab überlegt, wohin ich essen geh, ich hab einen wahnsinnigen Hunger gehabt, ich hatte Lust, was Deftiges zu essen, einen Braten mit Knödel und Kraut, da hab ich selten Lust drauf, auch heut noch, aber an diesem Mittag, es war ein Freitag, und ich hab gedacht, heut, wenn die Katholen kein Fleisch essen, schlag ich zu. Und ich hab beschlossen, ins ›Atzinger‹ zu gehen, da gingen alle Studenten hin und da war es

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