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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Nirgendwo konnte er einen Koffer entdecken.
    Nach einem kurzen, achtlosen Blick zu Fanny sagte Hannah Richter: »Die Frau Hermann hat mich angerufen, ich hab auf Sie gewartet. Hier bin ich, worum geht es? Ist was mit Adrian?«
    Süden sagte: »Ja.«
    Dann schwieg er. Fanny, die Hände in den Anoraktaschen, ließ ihn nicht aus den Augen, ebenso wie Hannah Richter.
    Eine Minute lang war nichts als das gedämpfte Rauschen des Straßenverkehrs unten auf der Schwanthalerstraße zu hören und, für Sekunden, das Kratzen von Hannahs Fingernägeln auf dem grünen, abgenutzten Sofapolster. Durch die Anspannung trat ein rötlicher Schimmer auf die blasse Gesichtshaut der Frau.
    »Was, ja?«, presste sie hervor.
    »Adrian hat das Zeno-Haus verlassen, um Sie zu besuchen.« Süden wartete ab. Hannah sah ihn aus großen, reglosen Augen an.
    In einem Tonfall, den Süden polar fand, sagte sie: »Und? Sehen Sie ihn irgendwo hier? Wollen Sie unterm Bett nachschauen? Im Schrank? Im Bad? Ja?«
    »Ja.«
    Er kniete sich hin und sah unters Bett: nichts und niemand. Er öffnete die Schranktüren und sah zwei Röcke und zwei Blusen auf Bügeln, auf dem Regal Unterwäsche und Socken und auf dem Schrankboden einen grauen Rucksack mit roten Streifen. Er ging ins Badezimmer, knipste das Licht an, zog den Duschvorhang beiseite, ließ ihn so und kehrte ins Zimmer zurück. Wie vorher stellte er sich neben den Schrank bei der Tür, die Hände hinter dem Rücken.
    Fanny öffnete den Mund, traute sich aber nicht, etwas zu sagen.
    Hannah warf ihr wieder einen flüchtigen Blick zu.
    »Wer ist das Mädchen?«, fragte sie.
    »Sie heißt Fanny, sie wohnt auch im Zeno-Haus.«
    »Und was macht sie hier?«
    Wenn er das, was er dachte, ausspräche, so überlegte er, würde seine Chefin ihm nicht nur nie wieder einen Auftrag erteilen, sie würde ihn noch heute entlassen.
    Dann sagte er es trotzdem: »Sie sind dumm, Frau Richter, und die dümmsten Menschen sind diejenigen, die sich auf ihre Dummheit auch noch etwas einbilden.«
    Daraufhin hörte er draußen den Schnee fallen.
     
    Gespannt hörte Fanny der Zimmerstille zu, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, das Kinn auf den Fäusten.
    Hannah Richter nickte, zupfte an ihrem weißen Rollkragenpullover. »Sie wollen mich provozieren, weil ich meinen Sohn abgegeben hab. Das klappt nicht, glauben Sie’s mir, das haben schon ganz andere versucht. Ganz andere als Sie.«
    »Wer hat es versucht?«
    »Alle. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, mein Mann, das ist Sport für die, geben Sie sich keine Mühe, Herr Süden, Sie stehen auf verlorenem Posten.«
    »Ihr Sohn hat heute nicht bei Ihnen angerufen«, sagte er.
    »Nein, mein Sohn hat heute nicht bei mir angerufen.«
    »Gestern und vorgestern auch nicht.«
    »Gestern und vorgestern auch nicht.« Ihr Blick rutschte von Süden weg zur Tür.
    »Wir suchen nach ihm, und in einer SMS schrieb er, er würde zu Ihnen kommen.«
    Zum wiederholten Mal schaute Hannah zu dem Mädchen am Tisch.
    Fanny wusste nicht, ob sie etwas sagen sollte, traute sich dann aber doch. »Adi schreibt an mich. Ich hab ihm meine Nummer gegeben, die hat er eingespeichert. Er hat gesagt, Sie haben einen anderen Mann, nicht mehr seinen Vater, und wegen dem anderen Mann haben Sie ihn im Zeno-Haus abgegeben und gesagt, Sie wollen ihn nicht mehr, er geht Ihnen im Weg um.«
    »So was hab ich nie gesagt, du freches Gör.«
    »Haben Sie schon gesagt.«
    »Wenn du meinst.« Hannah ließ sich gegen die Rückenlehne fallen und verschränkte die Arme.
    Fanny richtete sich auf. »Ich kenn mich aus, ich weiß schon, wer du bist. Du bist eine Abschieberin. Meine Mama ist auch eine. Lauter Abschieber kommen ins Zeno-Haus und gehen wieder weg. Und wenn der Adi stirbt, bist du schuld.«
    »Verstehe«, sagte Hannah Richter zu Süden. »Sie haben das Mädchen zur Unterstützung mitgebracht, um mich fertigzumachen. Irgendwie armselig. Wer bezahlt Sie eigentlich für Ihren Auftritt? Oder machen Sie das freiwillig, weil Weihnachten vor der Tür steht? Detektiv sind Sie? Kann man davon leben? Was verdienen Sie so im Monat? Tausend? Sicher weniger. Wie viel?«
    »Warum sind Sie von zu Hause ausgezogen, Frau Richter?«
    »Ich bin nicht ausgezogen, ich brauch nur grad meine Ruhe. Ist doch nett hier. Nein?«
    Mit einem Ruck stand sie auf, öffnete die Minibar, die neben der Couch unter dem Fernseher stand, und nahm eine kleine Flasche Tonicwater und einen Flaschenöffner heraus. Sie ging, ohne Fanny zu beachten,

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