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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sprechen.« Sie wartete, ob Süden etwas erwiderte, und als er schwieg, schüttelte sie den Kopf. »Du bist schwierig.«
    Mit einer schnellen Bewegung wischte sie die Kapuze vom Kopf, strich sich die Haare aus den Augen und rieb mit der anderen Hand, in der sie das Handy hielt, über die Jeans. »Meine Probleme gehen nur die Karla, die Yasmin und die Frau Hermann was an, das ist so. Deswegen sind wir im Sankt-Zeno-Haus, weil wir da sicher sind und geschützt. Verstehst du das, Tabor?«
    »Ja.«
    »Genau.« Sie sah ihn an, kniff erst das rechte Auge zu, dann das linke. »Warst du mal im Heim? Haben dich deine Eltern auch weggegeben? Warst du viel einsam als Kind? Sag doch was.«
    »Ja«, sagte Süden. »Ich war oft allein. Aber ich hatte einen guten Freund, der hieß Martin. Du hast bestimmt auch einen guten Freund oder eine gute Freundin.«
    »Nein.«
    Das Taxi fuhr weiter, und Fanny schaute aus dem Fenster. Sie sah den Schwarzen am Müllwagen und eine Frau mit einem weinenden kleinen Mädchen an der Hand und drehte den Kopf zur Heckscheibe, bis die beiden hinter den parkenden Autos verschwunden waren.
    »Du hast niemanden«, sagte Süden. »Aber du sprichst mit Adrian.«
    Fanny nahm das Handy in die linke Hand, blickte vor sich hin, bemerkte nicht, dass der Taxifahrer sie im Rückspiegel beobachtete. Sie stieß einen Seufzer aus. »Der Adi hat immer Hunger, das versteh ich, ich hab auch immer Hunger. Wir teilen uns die Schokolade, wenn wir welche haben. Den Adi hat noch nie jemand besucht, mich auch nicht. Das macht nichts, ich kenn mich aus mit dem Alleinsein, so wie du. Jetzt hab ich auch wieder Hunger. Holst du mir eine Breze?«
    »Wir sind gleich da«, sagte Süden. »Deine Eltern wohnen nicht in München.«
    »Meine Mama schon, mein Daddy nicht, die sind nicht mehr zusammen. Meine Mama hat mich im Sankt-Zeno-Haus abgegeben, sie hat gesagt, sie kann die Verantwortung nicht mehr tragen, die ist zu schwer geworden. Meinen Kinderausweis hat sie auch abgegeben, sie hat gesagt, das ist das Beste für mich, wenn ich bei der Karla und der Frau Hermann bleib. Jetzt bin ich länger als ein Jahr da. Ich komm wahrscheinlich in ein Heim, weil meiner Mama bin ich immer noch zu schwer. Verstehst du das?«
    Süden schwieg, obwohl er wusste, dass er etwas sagen sollte.
    Er wollte nichts von sich erzählen, sondern das Mädchen aushorchen, so unauffällig wie früher einen wichtigen Zeugen. Fanny, das ahnte er, war eine Meisterin im Verdachtschöpfen. Vermutlich kannte sie mit ihren elf Jahren schon jede Variante der Lüge und jeden Tonfall eines Erwachsenen, der eigentlich etwas anderes meinte oder bezweckte. Wenn er dem Mädchen einen Blick zuwarf und sie ihn aus listigen Augen ansah, mit diesem eigenartigen Zucken in den Mundwinkeln, hielt er sie sekundenlang für eine Verbündete, mit der er unterwegs war, um ein verzinktes Geheimnis aufzudecken.
    Er beugte sich vor und spürte den Gürtel seiner Hose. Seine Daunenjacke, deren Reißverschluss er nicht geöffnet hatte, schnürte ihn ein. Ihm war heiß. Der Taxifahrer hatte die Heizung weiter voll aufgedreht, obwohl Süden ihn bereits kurz nach dem Einsteigen darauf aufmerksam gemacht hatte. Was der Fahrer an Worten sparte, haute er an Hubtönen zum Fenster hinaus. Zwischenzeitlich glaubte Süden, der Taxler würde einzelne Schneeflocken anhupen, weil sie ihm die Sicht versperrten.
    »Dann bist du an Weihnachten im Zeno-Haus«, sagte er zu Fanny.
    »War ich im letzten Jahr auch, war schön.«
    »Und der Adrian wird auch da sein.«
    »Weiß nicht.«
    Das Taxi bog von der Sonnen- in die Landwehrstraße ab und erreichte zielsicher den nächsten Stau. Der Taxifahrer hätte geradeaus weiterfahren und erst vor der Börse den Stachus mit seinen Straßenbahnhaltestellen umkreisen können. Vielleicht schonte er seine Reifen.
    »Schade«, sagte Süden und zeigte auf Fannys Handy. »Er hat sich nicht mehr gemeldet.«
    »Vielleicht ist er eingeschlafen.«
    »Auf der Straße wird er nicht schlafen«, sagte Süden. »Und wenn er bei seiner Mutter aufgetaucht wäre, hätte sie inzwischen im Zeno-Haus angerufen.«
    »Fahren wir nicht hin zu seiner Mama?«
    »Doch.«
    Der Taxifahrer hupte, der Fahrer vor ihm hupte zurück, der Fahrer hinter ihm vollendete den Dreiklang. Der Stau bewegte sich keinen Meter. In den meisten türkischen und arabischen Geschäften standen die Türen offen, Männer unterhielten sich auf dem Bürgersteig, manche in dicken Jacken, mit Pelzmützen und Wollschals, manche

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