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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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im Sommeranzug, einige mit Mütze und Anzug.
    Süden wandte sich an den Fahrer. »Wir steigen an der Ampel aus, Sie brauchen nicht extra über die Goethestraße zu fahren.« Der Fahrer nickte.
    Fünf Minuten später standen sie auf dem Bürgersteig.
     
    »Der Taxifahrer hat dich nicht gemocht«, sagte Fanny, zog die Kapuze über den Kopf und steckte die Hände in die Anoraktaschen.
    »Der ist immer so«, sagte Süden. Er holte seine graue Wollmütze hervor und stülpte sie sich über den Kopf. Wenn er in einen Spiegel oder ein Schaufenster blickte, fand er, dass er wie der Dorftrottel von Unterzeismering aussah. Er hatte den Eindruck, sein Schädel verforme sich unter der Mütze und diese verleihe ihm etwas Bescheuertes. Dabei wollte er niemandem in Unterzeismering, wo er noch nie war, zu nahe treten. Womöglich wäre er mit seiner Aufmachung in dem oberbayerischen Dorf zum Dressman des Monats gewählt worden. Ein flüchtiger Blick ins Fenster einer Nachtbar, an der er mit Fanny vorüberging, überzeugte ihn jedoch sofort vom Gegenteil.
    »Hast du kein eigenes Auto?«, fragte das Mädchen.
    »Ich hätte gern eines, weiß aber nicht, welches ich kaufen soll.«
    »Eins mit Sitzheizung«, sagte Fanny. »Mein Daddy hatte so eines, da kriegst du einen warmen Popo, das ist fei schön.«
    Hotels, Bars und Clubs säumten die Schillerstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs, Läden, in denen Süden früher regelmäßig seinen Freund und Kollegen Martin Heuer getroffen hatte. Martin verbrachte dort die Nächte, ohne jede Form von Glück, in purer Einsamkeit, trotz der anderen Männer um ihn herum, trotz der Mädchen und Frauen, die mit ihm tranken, und trotz Lilo, seiner Freundin, die als Prostituierte arbeitete und ihn mit nach Hause nahm, wenn er am Tresen die Orientierung verlor.
    Hinter einigen Fenstern standen kleine Christbäume mit bunten Lampen, weibliche Puppen als Weihnachtsmänner verkleidet, mit einer Rute in der Hand, umringt von glitzernden Kugeln und Lametta. Aus halb geöffneten Türen drang Schlagermusik. Mit Geschenken bepackte Passanten drängten sich aneinander vorbei. Alle Fenster waren hell erleuchtet und mit ebenso billigem wie üppigem Tand geschmückt.
    Fanny trippelte neben Süden her. Wenn ihnen Leute entgegenkamen, blieb er hinter ihr, und sie ging einfach weiter und schien von all der rotlichtigen Weihnachtsseligkeit nichts wahrzunehmen.
    An der Ecke zur vierspurigen Schwanthalerstraße sprang die Ampel auf Rot.
    »Wir müssen nach links«, sagte Süden. In diesem Moment griff Fanny nach seiner Hand, und er erschrak ein wenig.
    Hand in Hand überquerten sie die Straße. Vor der Eingangstür einer Pension, die sich neben einem kleinen Café und einem arabischen Supermarkt befand, blieben sie stehen. Am Vordach über dem Eingang stand in weißer Schrift auf blauem Untergrund der Name: »Hotel Daheim«.
    Einige Sekunden verharrten Süden und das Mädchen, dann sagte er: »Jetzt eine Breze für jeden und eine Schokolade für dich und einen Kaffee für mich.«
    Ohne Fannys Hand loszulassen, öffnete er die Tür des Cafés. Drinnen roch es nach frischem Brot und Kaffee. Sie stellten sich an den einzigen Stehtisch am Fenster und sahen hinaus ins Schneetreiben und Gewühl der Autos und Menschen an der Kreuzung.
    Fanny nagte an ihrer Breze, nippte an ihrer heißen Schokolade, sah Süden verstohlen an. Zwei, die nicht dazugehören, dachte er, und als das Mädchen ihn nach einer wortlosen Weile fragte, woran er denke, sagte er: »An uns.«
    Bevor sie aufbrachen, griff er nach Fannys Hand. Sie ließ es zu, ohne darauf zu reagieren. »Weißt du, warum ich dich mitgenommen habe, Fanny? Warum ich möchte, dass du Adrians Mutter kennenlernst?«
    Sie hatte immer noch ein längliches Stück Breze in der Hand und bohrte ihren Zeigefinger in den Teig, bewegte ihn auf und ab. »Damit du nicht so allein bist.«
    »Unbedingt«, sagte Süden. »Vor allem habe ich dich mitgenommen, weil ich ohne dich den Adrian nicht finden kann. Ich glaube, du weißt, wo er ist.«
    »Nein«, sagte sie und zeigte mit dem Brezenfinger auf ihn. »Das weiß ich nicht, das weiß nämlich keiner, er ist weggegangen und kommt vielleicht nicht wieder.«
    »Zu den Erzieherinnen hast du gesagt, er kommt wieder.«
    »Ach die.«
    »Warum kommt er vielleicht nicht wieder?«
    »Weil er nicht mag.«
    »Und warum mag er nicht?«
    »Weil ihn sowieso niemand versteht.«
    »Das stimmt nicht«, sagte Süden. »Du verstehst ihn, du bist seine

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