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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Steinfeger widerwillig seine Handynummer heraus. Süden kam nicht dazu, sich zu bedanken, Steinfeger hatte schon aufgelegt.
    Mit der Suche nach dem richtigen Haus hatte Süden an der Einmündung zur Balanstraße begonnen und dann Haustür für Haustür bis zur Franziskanerstraße abgeklappert, hinter der sich die Rablstraße fortsetzte. Jetzt stand er vor der grauen Holztür eines fünfstöckigen Gebäudes und betrachtete das offensichtlich neu montierte, unzerkratzte Klingelschild, dessen Namen auf weißem Grund deutlich zu lesen waren – auch der Name Berghof.
    Süden klingelte nicht sofort. Er fragte sich sogar, ob er überhaupt klingeln und nicht endlich seine Chefin anrufen und mit ihr das weitere Vorgehen besprechen sollte. Die Art, wie sowohl Hannah als auch Ludwig Richter ihm begegneten und seine Bemühungen ignorierten, war grotesk und nicht länger hinzunehmen.
    Andererseits hatte er einen persönlichen Kontakt zu dem Jungen aufgebaut, sie schickten einander Botschaften. Adrian hatte das Verlangen, sich mitzuteilen, auch gegenüber einem Unbekannten, dem er nur deswegen halbwegs vertraute, weil dieser Fannys Handy benutzen durfte.
    Außerdem – doch diesen Gedanken verscheuchte Süden – blieb er lieber für sich in dieser Nacht. Er hatte sich versprochen, den Jungen auf eigene Weise zu finden, im Vertrauen auf sein intuitives Tun, von dem er hoffte, er habe es während seiner Auszeit als Vermisstenfahnder nicht verlernt.
    In einem Wohn- und Geschäftsblock auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich neben einem Supermarkt ein Eiscafé. Süden beschloss, einen doppelten Espresso zu trinken und mit Adrian zu kommunizieren. Den Soundtrack steuerten italienische Pop- und Rocksänger bei. Süden war der einzige Gast.
    Der Wirt, ein Mann um die sechzig mit grauem Bart, und ein etwa dreißigjähriger Kellner, dessen Stimme die von Zucchero aus dem Lautsprecher leicht übertönte, unterhielten sich stürmisch auf Italienisch. Süden verstand kein Wort, horchte aber immer wieder aus verschwendeter Neugier hin. Vielleicht, überlegte er, diskutierten sie über zwielichtige, bestechliche Politiker in ihrer Heimat oder das von einem niederbayerischen Fundamentalisten initiierte allgemeine Rauchverbot in Gaststätten, oder sie konnten sich nicht einigen, welche Sorte Unterhosen die testikelfreundlichste war.
    An Adrian schrieb Süden:
Ich gehe gleich zu Gregor, soll ich ihn von Dir grüßen? Süden.
    Einen halben Song von Gianna Nannini später erwiderte der Junge:
was machs du da?
    Ich frag ihn, ob er weiß, wo Du bist. Du bist sein bester Freund.
    Der Kellner fuchtelte mit seiner Stimme durch den Refrain.
    ich bin nich da,
schrieb Adrian
, ich bin gans woanders.
    Wo bist Du denn, Adrian?
    wo du nich bist.
    Hast Du immer noch Hunger?
    nein.
    Ist Dir kalt?
    ein bischen, nich schlim.
    Bist Du allein?
    ja.
    Hast Du Angst, allein zu sein?
    nein, du?
    Nein. Es ist schon dunkel, wo schläfst Du heute Nacht?
    schlaf heut nich.
    Wartest Du auf etwas?
    kann sein.
    Dann warte ich auch, ich begleite Dich beim Warten.
    ok.
    Süden schrieb:
Hoffentlich geht der Akku von unseren Handys nicht aus.
    is noch genug saft drinn. Bist du schon beim gregor?
    Noch nicht, ich gehe gleich rüber, bin noch im Eiscafé.
    marco polo.
    Genau. Du warst da auch schon.
    schon oft, trink zitronenliemo und der gregor schnabs.
    Ich trinke Kaffee, da bleibe ich wach, habe ja noch eine lange Nacht vor mir, so wie Du.
    servus.
    Bis später,
schrieb Süden.
    Er steckte das Handy in die Hosentasche und wartete, bis einer der beiden Italiener zwischen den Sätzen Luft holte. Dann hob er die Hand, der Kellner nickte und steigerte gleichzeitig sein Sprechtempo.

[home]
    9
    »Das ist schwer zu erklären«, sagte Gregor Berghof und beugte sich in seinem weißen Ledersessel nach vorn. Es sah aus, als würde sein voluminöser Bauch ihn nach unten ziehen. Das breite, unförmige Gesicht des Vierundsechzigjährigen war gelblich grau, die gelbliche Färbung seiner Augäpfel ließ seine Blicke welk erscheinen.
    Eingehüllt in eine braune, abgenutzte Wolldecke, unter der er seine Hände und Beine verbarg, mit seinen bleiernen Bewegungen und seinem qualvollen Keuchen, vermittelte er den Eindruck eines von Grund auf erschöpften Menschen. Zu dem von der Stehlampe beschienenen weißen Sessel bildete er einen fast gespenstischen Kontrast.
    Süden saß schräg gegenüber auf der angegrauten, ebenfalls weißen Couch, vor sich ein Glas Wasser, und atmete den

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