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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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war er sich sicher, dass in all dem, was die Erzieherinnen, die Kinder, die Eltern, die Pensionswirtin und nun sein Ex-Kollege ihm erzählt hatten, Echos von Adrians Hilferufen versteckt waren.
    Die Personen hatten ihn nicht angelogen, sie beschrieben den Jungen aus ihrer Sicht, aber sie täuschten nichts vor, sie wollten ihn nicht auf eine falsche Fährte locken. Er glaubte ihnen, dass sie Adrians Aufenthaltsort nicht kannten.
    Und doch, dachte Süden, steckten in ihren Aussagen Hinweise, die er bisher nicht zu deuten wusste, und er verstand nicht, warum.
    Den Schnaps hätte er nicht trinken dürfen.
    Mit dem Glas in der Hand stand er an der Tür, ihm war etwas schwindlig, auch von der verbrauchten Luft im Raum. Er betrachtete den gekrümmten Rücken in dem weißen Sessel. Seit einer Weile röchelte Gregor Berghof in wechselnder Lautstärke vor sich hin, ein monotones, wie von Stacheldraht umzäuntes Geräusch.
    Süden dachte an die Bemerkung des kranken Mannes von seinem nahen Tod und dass es unter den Primeln keinen Empfang gab. Südens Blick fiel wieder auf die verstaubten Bilder an der Tapetenwand, auf die leblosen Möbel, und er überlegte, wann Berghof zum letzten Mal jemanden empfangen und ob er dies überhaupt je getan hatte. Unter den Primeln oder darüber: Der Mann verweigerte schon lange jeden Empfang, ließ sein kaputtes Handy verstauben wie alles andere, besaß keinen Anrufbeantworter und ging nicht ans Telefon.
    Süden stellte das Glas auf den niedrigen Bücherschrank neben der Tür und ging zu Berghof. »Und wenn Adrian Sie übers Festnetz erreichen will? Weil Sie auf andere Weise nicht zu sprechen sind? Hat heute jemand bei Ihnen geklingelt?«
    Berghof hatte die Augen geschlossen. »Ja, Sie«, sagte er und sackte gegen die Rückenlehne, sein Mund blieb halb geöffnet.
    »Wann genau haben Sie Adrian zuletzt gesehen?«, fragte Süden wie zum ersten Mal.
    Und weil die Antwort oder das Nachdenken oder das bloße Atmen Berghof so anstrengten, dass er keinen Laut hervorbrachte, setzte Süden sich wieder auf die Couch, obwohl er lieber stehen geblieben und noch lieber gegangen wäre.
    Endlich öffnete Berghof die Augen, sein Blick irrte umher. »Das war damals … Als ich gemerkt habe, er schreibt an sich selber, das war das letzte Mal, habe ich Ihnen das nicht gesagt?«
    »Sie haben gesagt, Sie hätten Adrian vor ungefähr einem Jahr zum letzten Mal gesehen, und die Sache mit dem Handy sei in der Weihnachtszeit vor zwei Jahren passiert.«
    »Das ist wahr, und seitdem habe ich nichts mehr von dem Jungen gehört. Die Eltern wollten das nicht, sie hielten ihn fern von mir, kein Wunder, sie hielten sich alle fern von mir. Dabei war alles erlogen und eine maßlose Hinterfotzigkeit der Familie Gerland. Diese Familie ist schuld an … Schuld an … Die Sache ist vorbei. Von mir aus können sie auf mein Grab spucken, die Leute sind so.«
    Süden schwieg.
    Berghof beugte sich etwas vor, als könne er den Detektiv dann besser erkennen. »Sie wissen das nicht? Sie wissen nicht, wen Sie vor sich haben? Ich bin der Pimmelschüttler von Haidhausen. Zuerst haben sie mich erwischt, wie ich nachts betrunken auf der Straße uriniert habe, dann will Frau Gerland mich auf frischer Tat dabei ertappt haben, wie ich ihrer fünfjährigen Tochter mein Glied zeigte, hinter den Büschen beim Spielplatz. Hab ich nicht getan. Hätt ich niemals getan. Hatte Probleme mit der Prostata, hielt den Druck nicht mehr aus. Und ich habe das Kind nicht gesehen, es war dunkel, Spätherbst, gegen achtzehn Uhr, da war sonst niemand mehr auf dem Spielplatz. Ich weiß nicht, wo das Mädchen plötzlich herkam. Sie stand da und schaute mir zu. Ich hab mich beeilt, aber meine Finger waren kalt und der Reißverschluss klemmte und … Und da war schon die Mutter und schrie mich an. Drecksau!«
    Er hustete, riss die Augen auf und sank erschöpft in den Sessel. Die Decke auf seinen Knien war verrutscht, er zog sie zurecht, und Süden sah – wie schon bei der Begrüßung – die grauen, knochigen Hände. Berghof vergrub sie wieder unter der Decke und leckte sich die trockenen Lippen. »Ein Polizist als Gliedvorzeiger, noch dazu ein Stadtteilbeamter, eine Vertrauensperson. Einer, der mit den Kindern redet und ihnen Bonbons schenkt. Der sich um die Nöte alter Leute kümmert. Den jeder kennt und respektiert.«
    Vor Erschöpfung machte er eine lange Pause. »Haben Sie alles nicht gewusst. Was denken Sie jetzt?«
    Süden saß am Rand der Couch, die Arme

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