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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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auf den Oberschenkeln. Er sagte: »Sie wären zum Pinkeln besser in ein Lokal gegangen.«
    Berghofs Lächeln erlosch im selben Moment, als Süden es wahrnahm. »Weiser Rat, Kollege. Glauben Sie mir, ich war auf dem Weg dahin, ich wollte ins ›Carlos‹, zweihundert Meter entfernt. Da wollte ich hin. Ich schaffte es nicht. Musste mich auf der Stelle erleichtern, der Drang war grauenhaft. Und dann? Die Kollegen schrieben die Anzeige, haben mich befragt, ich beteuerte meine Unschuld, wie ein gewöhnlicher Täter. Die Familie Gerland erzählte allen Nachbarn davon, der Presse auch. Foto mit Balken im Lokalteil. Tagelange Anrufe hier, auf dem Handy sogar, das dann zum richtigen Zeitpunkt den Geist aufgab. Blieb in der Wohnung. Die Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und exhibitionistischer Handlungen wurde niedergeschlagen. Das Kind hatte ich nachweislich nicht berührt und mich ihm auch nicht zugewendet. Ich stand hinter Sträuchern versteckt. Innendienst. Das Ehepaar Gerland zog die Anzeige schließlich zurück, sie hatten erreicht, was sie wollten, ich war von der Straße, raus aus dem Viertel. Auf Wunsch meines Dienststellenleiters sollte ich einen Brief an die Familie schreiben und mich für mein Verhalten entschuldigen. Hab ich nicht getan. Ich wurde verleumdet, hätt mich wehren können und müssen. Die Kollegen standen auf meiner Seite, heute meldet sich keiner mehr von denen. Krebs ist schlimmer als öffentliches Brunzen. Krebs ist ansteckend.«
    Keuchend schloss er die Augen.
    »Seit diesem Vorfall haben Sie keinen Kontakt mehr zu Adrian«, sagte Süden. »Seine Eltern haben Sie angerufen und erklärt, warum.«
    »Er kam nicht mehr.« Berghof drehte den Kopf zum Teewagen mit den Medikamenten. Dann griff er nach einer Packung, ließ sie wieder fallen.
    Süden stand auf.
    »Bleiben Sie sitzen«, sagte Berghof. »Hab noch eine Viertelstunde Zeit mit dem Zeug.«
    Süden fragte sich, woher Berghof wusste, wie spät es war, er trug keine Uhr und im Zimmer hing keine. Süden blieb stehen.
    »Ich traf seine Mutter zufällig auf der Straße, das war noch vor der Sache mit dem Mädchen. Und ich fragte sie, warum der Junge sich nicht mehr meldet. Sie sagte, er müsse viel für die Schule machen, außerdem sei er oft mit Freunden zusammen, mit gleichaltrigen Freunden, wie sie betonte. Ich wollte noch was sagen, aber sie ging weg, und ich hab sie nie wieder gesehen. Genauso wenig wie den Vater des Jungen, eine tickende Zeitbombe meiner Einschätzung nach.«
    »Sie trauen dem Mann eine Gewalttat zu.«
    »Was ich dem zutrau …« Berghof krallte die Finger beider Hände in die Armlehnen. »Dass er seine Familie auslöscht, seine Frau, seinen Sohn, sich selbst. Weil er ein Versager ist und das irgendwann begreift, und dann wird niemand rechtzeitig zur Stelle sein. Wie immer. Sie kennen das als Kripomann, das ist unser tägliches Brot.«
    Dann faltete er die Hände und sah Süden beinah gelöst an. »Meines nicht mehr. Ihres auch nicht.«

[home]
    11
    Z urück ins »Carlos« zu gehen, um Ludwig Richter zu beobachten, ob in ihm die Idee eines Anschlags auf seine Familie brodelte, hielt Süden für abwegig.
    Als er jedoch die graue Holztür hinter sich zuzog und in die schneekalte Nacht hinaustrat, dachte Süden wieder daran, einen Kollegen aus der Detektei hinzuzuziehen. Für den alten Kreutzer, einen ehemaligen Schreibwarenhändler, der nach seiner Geschäftsaufgabe in der Detektei Liebergesell eingestiegen und dort vor allem als unauffälliger Beschatter tätig war, käme ein solcher Auftrag vermutlich gerade recht. Noch dazu wohnte Kreutzer in Haidhausen. »Ich bin ein stinknormaler Rentner«, sagte er immer, »einer aus der Masse, mich erkennt niemand.«
    Süden verwarf den Gedanken wieder. Was sollte der betrunkene Autoverkäufer anstellen? Im Hotel Daheim würde ihn der Portier auf keinen Fall zu seiner Frau vordringen lassen, und Adrian war vor seinem Vater in Sicherheit, wo immer der Junge sein mochte. Ob Richter eine Schusswaffe besaß, wusste Süden nicht.
    Überhaupt dachte er über etwas nach, das auf einer Behauptung basierte. Woher der todkranke Berghof die Überzeugung nahm, Adrians Vater sei zu einem Verbrechen fähig, hatte er nicht weiter ausgeführt, und Süden hatte nicht darauf bestanden. Heute Nacht, dachte Süden, würde sich die Aggressivität des Autoverkäufers allenfalls gegen einen Kneipengast richten, oder gegen sich selbst, wenn er niemanden fand, den er provozieren konnte.
    Auf dem

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