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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dem Armaturenbrett. Der Mann hatte ihr mit voller Wucht auf den Hinterkopf geschlagen. Mit Gesicht und Schulter war sie gegen das Handschuhfach geschrammt. Alles war so schnell passiert, dass sie den Kopf erst hob, als der Mann seine Hand schon wieder weggenommen hatte, mit der er sie nach unten gedrückt hatte. Drohend hob er den Zeigefinger, legte ihn auf die Lippen, sah in den Rückspiegel und verzog das Gesicht.
    »Entspann dich wieder, die Bullerei ist weg.«
     
    Fanny rappelte sich in die Höhe.
    »Hab ich gesagt, du sollst dich hinsetzen? Bleib da unten und denk weiter nach, wo Adrian ist. Ich geb dir noch zehn Minuten. Bild dir nicht ein, ich mach hier Spaß, ich mach nie Spaß, das hat dir Adrian garantiert erzählt. Wenn ich was sag, dann ist das so. Glaubst du, ich lass mich von dir verarschen? Du kleines Mädchen. Wie hast du deine Eltern fertiggemacht? Verrat’s mir. Unterhalten wir uns ein wenig.
    Stell dir vor, ich bin der letzte Mensch, mit dem du reden kannst, niemand sonst mehr da auf der Welt. Los, Fanny, spielen wir Letzter Mensch auf der Welt. Wir zwei sind die letzten Lebewesen, du und ich, und du willst mir noch was sagen, bevor du nie wieder etwas sagen kannst.
    Wie hast du deine Eltern dazu gebracht, dass sie dich ins Heim stecken? Hast du nicht getan, was sie von dir verlangten? Ewig dagegengesprochen? Immer genau das gemacht, was du nicht hättest machen sollen? So was in der Art? Kenn ich alles, du brauchst mich nicht anlügen, ich seh dir an, was für eine du bist. Kein Wunder, dass ihr euch so gut versteht, der Adrian und du, ihr seid beide vom selben Schlag.
    Da fragt man sich als Eltern: Wie ist das möglich? Warum ich? Warum krieg ausgerechnet ich so einen Sohn, der so tut, als wär er der König der Welt? Andere Kinder folgen ihren Eltern, ziehen gern die Sachen an, die sie ihnen kaufen, gehen mit ihnen spazieren, unterhalten sich normal. Warum hab ich keinen normalen Sohn, fragt man sich.
    Und deine Mutter? Die wird sich auch gefragt haben, warum sie keine normale Tochter hat, sondern eine wie dich. Heulst du? Heul weiter. Das ist das Einzige, was ihr könnt, heulen und schreien. Heulen und schreien. Dann ist für zwei Tage Ruhe, dann geht das Gequake von vorn los.
    Mach dir nichts draus, Fanny, ihr seid nicht die Einzigen. Euch kann man wenigstens noch zur Ruhe bringen. Euch kann man noch zeigen, was es heißt, zu widersprechen und sich aufzumandeln. Das heißt nichts Gutes, das weißt du ja, das kann weh tun, sehr weh tun kann das.
    Bei den Erwachsenen, die so sind wie ihr, ist das nicht so einfach. Geht aber auch. Und du denkst, du kannst mich provozieren.
    Bei den Frauen in dem Haus schaffst du das, die dürfen sich nicht wehren, die werden dafür bezahlt, dass sie euch aushalten. Ich muss dich nicht aushalten. Den Adrian auch nicht. Meine Frau muss ich auch nicht aushalten, meinen Chef auch nicht, den Liebl Max auch nicht. Kennst du den Liebl Max? Ein Intrigant, aber immer höflich zu den Kunden. Was denkst du, Fanny? Sind die zehn Minuten um?«
    Sein abruptes Schweigen traf sie wie eine Ohrfeige. Sie hatte jedes Wort gehört, das er abwechselnd gegen die Windschutzscheibe und auf sie hinunter bellte. Was er sagte, klang in ihren Ohren so verwirrend und furchteinflößend wie das Getrommel ihrer Gedanken. Seine Frage hatte sie überhört. Als er sie jetzt wiederholte, reagierte sie nicht.
    »Sag, sind die zehn Minuten schon um?«
    Sie bogen in eine Seitenstraße zwischen hohen grauen Häuserwänden ein. Das Auto hielt an. Fanny horchte. Um sie herum war es still.
    Sie hob den Kopf. Der Mann lächelte sie an. Aus Verlegenheit lächelte sie auch.

[home]
    13
    W ir verstehen uns«, sagte Ludwig Richter.
    Er hörte nicht auf, das Mädchen anzusehen, und Fanny wagte nicht, sich zu bewegen. »Das waren früher Kasernen, amerikanische Soldaten waren hier stationiert. Haben uns beschützt. Weißt du, vor wem die uns beschützt haben? Ich auch nicht. Vor den Russen wahrscheinlich. Hat nicht geklappt, die Russen sind heut überall, die kaufen unsere Autos und Frauen mit ihrem Taschengeld. Sehr reich, die Russen. Ganze Wohnblöcke gehören denen, hast du das gewusst? In ein paar Jahren werden denen ganze Stadtteile gehören, aber da wohnt dann niemand. Die Russen wohnen in Russland, die wollen nur ihr Geld loswerden. So ist die Welt. Und wir zwei mittendrin. Hast du Hunger?«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Hast du Durst?«
    Sie schüttelte den Kopf und wusste nicht,

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