Süden und die Schlüsselkinder
die denn mit unserem Sohn um? Verschanzt sich in einer Bahnhofsabsteige. Nimmt Tabletten. Geht fremd.
Den Ficker hatte er fast vergessen. Nils. Der kam als Nächster an die Reihe. Nach seinem Sohn. Für seinen Sohn fiel Weihnachten in diesem Jahr aus, das stand fest.
»So«, sagte er und hielt an. »Wir sind am Ziel. Halligenplatz. Welches Haus?«
Fanny drückte die Stirn ans Seitenfenster. In den Häusern, die sie erkennen konnte, brannte kein Licht. Die Hecken waren so tief eingeschneit wie die meisten Autos, die am Straßenrand parkten.
»Welche Nummer?« Richter packte Fanny im Genick. »Meine Geduld ist bei null.« Wenn sie ihn noch mehr reizte, garantierte er für nichts, das spürte er.
Seine Unberechenbarkeit in bestimmten Momenten war etwas, das ihn selbst verblüffte. Er hatte nicht jedes Mal seinen Sohn oder seine Frau verprügeln wollen, sie sollten lediglich seinen Standpunkt kapieren. Und dann sprang diese Maschine in ihm an und riss ihn mit und trieb ihn weiter und weiter, durchs Zimmer, durch die Wohnung, bis zur Erschöpfung. Hinterher staunte er oft, war kurz davor, sich zu entschuldigen, wozu es nie kam. Doch ein gewisses Staunen hielt schon mal ein paar Tage an.
Wahrscheinlich genügte es, wenn er nur ihren Kopf unter Wasser drückte. »Welche Nummer?«, schrie er ihr ins Ohr.
»Achtzehn, glaub ich.« Sie blinzelte heftig, weil sie nicht weinen wollte.
»Ja oder nein?«
»Ja … achtzehn.«
Er ließ sie los und schaltete wieder den Motor ein. Im Schritttempo fuhr er an Häusern mit kleinen Grundstücken vorbei. Gegenüber, auf dem leeren, im Sommer begrünten Platz, ragten knorrige Bäume in den schwarzen Himmel. Der Platz setzte sich hinter der Samlandstraße fort und endete vor einer Neubausiedlung aus Doppelhaushälften und anderen Mehrfamilienhäusern, die entlang der Haffstraße auf der grünen Wiese erbaut worden waren.
Das Haus Nummer 18 war das letzte in der Reihe vor der Haffstraße, ein im bleichen Licht einer Straßenlampe baufällig wirkendes Einfamilienhaus mit braunen Lamellenläden an den Fenstern und einem gebogenen Kupferdach über dem Eingang, zu dem drei Steinstufen hinaufführten. Im Garten wuchsen Sträucher.
Richter schaltete den Motor und das Licht aus. »Was will der Adrian in der Bruchbude? Wer wohnt hier?«
Fanny setzte sich aufrecht hin, die Hände unter den Oberschenkeln. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. »Das weiß ich nicht. Ich weiß bloß, dass der Adi den Gregor hier trifft, der hat eine Freundin.«
»Der hat eine Freundin?« In Fannys Ohren klang Richters Stimme wie ein Bellen. »Der Bulle hat eine Freundin? Willst du mich verarschen? Willst du, dass ich dich gleich verprügel? Was für eine Freundin?«
»Weiß nicht … Bitte, ich geh jetzt rein und hol den Adi raus …«
»Du gehst da auf keinen Fall rein.«
»Aber ich muss doch …«
»Wir gehen beide rein, was glaubst du denn? Steig aus.«
»Nein.« Fanny sah ihn an. Wenn sie jetzt versagte, dachte sie, wäre Adi verloren, und dann wäre es ihr egal, ob sein Vater sie in die Isar warf. Dann wollte sie eh nicht mehr leben, dann hätte sie alles falsch gemacht im Leben. »Wenn der Adi merkt, dass Sie da sind, haut er ab.« Sie wunderte sich über ihre klare Stimme. »Niemand darf erfahren, dass er in diesem Haus ist, und der Gregor wird Sie auch nicht ins Haus lassen, mich schon. Ich hol Ihnen den Adi, das hab ich versprochen und das mach ich auch.«
»Glaubst du, ich bleib hier im Auto sitzen? Hältst du mich für einen Trottel?« Er schlug ihr gegen die Schulter. »Hältst du mich für völlig blöde?«
Fanny gab keinen Laut von sich. Sie rieb sich den Arm und zitterte am ganzen Körper. Sie verbot sich jedes Wimmern. Erst musste sie Adi retten, dann kam alles andere.
Gerade wollte sie sagen, er solle sich keine Sorgen machen, da packte er sie wieder im Genick wie eine Katze, riss die Fahrertür auf und zog sie über den Fahrersitz ins Freie. Er presste sie gegen die Karosserie und lehnte sich an sie, dass sie seinen Atem roch. Mit der anderen Hand umklammerte er ihren Hals. Die Kälte des Schnees drang durch ihre Socken und über die Beine bis in ihren Bauch. Durch den halb geöffneten Mund atmete sie eisige Luft ein. Der Anorak war kein Schutz gegen das harte Autoblech in ihrem Rücken.
»Hol mir den Adi, und dann entscheid ich, was ich mit dir mach.« Von seiner Stimme wurde ihr schlecht. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.
»Ich hol ihn«, sagte sie leise.
Er ließ sie
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