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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wieso.
    »Zufriedenes Mädchen. Passiert auch nicht so oft. Dann schlag ich vor, du sagst mir, wo der Adrian ist, wir fahren hin, ich hol ihn ab, und du kommst zurück in dein Heim. Ich geb dir Geld für die U-Bahn. Und im Heim sagst du den Frauen, dass ich dich gut behandelt und dir nichts getan hab. Wirst du das machen? Fanny?«
    Vielleicht entfachte der Klang ihres Namens den Mut in ihr. Vielleicht hatten ihre Gedanken sich selbst geordnet und die Stimmen zum Verstummen gebracht, von denen sie dachte, sie würden gleich ihren Kopf sprengen. Vielleicht hatte sie schon längst eine Entscheidung getroffen und es bloß nicht begriffen. Jedenfalls empfand sie auf einmal eine große Erleichterung, und es kam ihr vor, als würde die Stimme aus ihrem Mund galoppieren.
    »Ich glaub, ich weiß, wo der Adi ist«, sagte sie. »Er hat mir verboten, dass ich jemandem was sag, und ich hab’s ihm versprochen. Und Sie müssen mir versprechen, dass Sie mich bei ihm nicht verraten. Bitte. Das ist total wichtig, Adi ist mein bester Freund, und ich will nicht, dass er mich nie wieder anschaut. Verstehst du das?«
    »Das versteh ich doch«, sagte Richter und verschränkte die Arme. Er brauchte dringend etwas zu trinken, und allmählich brauchte er auch eine Frau. Das war das geringste Problem. »Wo ist der Adi?«
    »Darf ich mich wieder auf den Sitz setzen?«
    Anstatt zu antworten, packte Richter das Mädchen an der Schulter und zog es hoch. Der Anorak verrutschte, und sie schlug sich das Knie an der Kante des Handschuhfachs an. Tränen traten ihr in die Augen. Aber sie wollte nicht heulen, und das schaffte sie auch. Mit einer schnellen Bewegung wischte sie sich über die Augen, schniefte und setzte sich aufrecht hin.
    Von nirgendwo war ein Geräusch zu hören. Fanny versuchte, einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zu werfen, was ihr nicht gelang.
    Richter beugte sich vor und legte ihr die Hand aufs Bein, drückte zu. »Verarsch mich nicht, Mädchen, ich mach keinen Spaß, das hab ich dir schon gesagt. Ich hoffe, du hast das wirklich verstanden. Ja?«
    Sie nickte.
    »Ich frag dich, ob du mich verstanden hast. Kannst du nicht reden?«
    »Doch.«
    Mit der Hand, mit der er gerade noch auf ihren Oberschenkel gedrückt hatte, schlug er ihr so schnell auf die linke Wange, dass sie keinen Muskel mehr anspannen konnte und ihr Kopf gegen das Seitenfenster knallte. Sie stieß einen Schrei aus, Tränen schossen ihr in die Augen, und sie fing an, laut zu weinen. Richter sah ihr zu, reglos, schmatzend. Als das Schütteln ihres Körpers abebbte, griff er in seine Manteltasche, holte eine Packung Papiertaschentücher hervor und warf sie dem Mädchen in den Schoß.
    »Schneuzen!«
    Fannys Kopf dröhnte. Sie schnappte mit weit geöffnetem Mund nach Luft und ließ aus Versehen zwei Taschentücher zu Boden fallen. Dann putzte sie sich die Nase und schluchzte noch eine Weile in sich hinein.
    »Alles gut«, sagte Richter. Wieder warf er einen Blick in den Rück- und den Außenspiegel und schaute auf die Uhr. Sieben Minuten nach halb eins.
    Beim Sprechen bekam Fanny kaum Luft. »Ich weiß, wo der Adi ist. Er hat’s mir gesagt. Ich bring Sie hin, versprochen.«
    »Warum hat das so lang gedauert?«
    Fanny redete sich ein: Ich bin jetzt eine Verräterin.
    Fünfmal hintereinander redete sie sich das ein, dann sagte sie: »Ich wollt den Adi nicht verraten.« Dann dachte sie ein sechstes Mal, dass sie eine Verräterin sei und dafür bestraft werden würde. Adi sagte, Verräter kämen in die Hölle und würden dort verbrennen, tausend Jahre lang.
    Sie wollte nicht erfrieren und ertrinken.
    Verbrennen wollte sie auch nicht.
    »Hör auf zu heulen«, sagte Richter.
    »Okay.«
    »Wo ist er?«
    »Halligenplatz.«
    »Was?«
    »Da ist er, am Halligenplatz.« Fanny dachte: Jetzt hab ich es gesagt, jetzt weiß er es, jetzt hab ich es getan.
    »Heiligenplatz? Wo soll der sein?«
    »Nicht Heiligenplatz, Halligenplatz.«
    »Nie gehört. Wir fahren zur Isar, fertig.«
    »Hast du keinen Stadtplan?«, sagte Fanny schnell.
    Wie vorhin hob Richter drohend den Zeigefinger und drehte sich von ihr weg. Er tippte den Namen in sein Navigationssystem. Der Platz und die umliegenden Straßen wurden angezeigt. »Das ist am anderen Ende. Ist doch Blödsinn, was du erzählst. Was soll der Adrian da?«
    »Er trifft jemanden.«
    »Wen denn?«
    »Weiß nicht genau. Einen Polizisten, glaub ich.«
    Richter kniff das rechte Auge zu, als schmerzte ihn Fannys Stimme. »Wen? Einen Polizisten?«

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