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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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sie wieder los. »Du bist ganz dünn, Mama, das ist ungesund, essen ist wichtig, sagt die Ines auch immer.«
    Die Polizeisirene kam näher. Der Motor eines Wagens heulte auf und starb ab.
    »Du weißt nicht, wo ich bin, wenn die Polizei da ist«, rief Fanny. Sie lief in die Küche und von dort in einen Anbau, der ans Nachbargrundstück grenzte. In dem Schuppen lagen haufenweise Kartons zwischen alten Möbeln, die ihrem Vater gehörten, der nie wieder aufgetaucht war. Sie sperrte die Tür auf und öffnete sie vorsichtig. Die Tür gab ein leises Quietschen von sich, aber Fanny hörte laute Stimmen vor dem Haus ihrer Mutter, so dass sie keine Angst hatte, erwischt zu werden.
    Sie rannte los.
     
    Alle paar Meter schlitterte sie auf ihren Socken über den gefrorenen Schnee. Die Kälte spürte sie nicht mehr. Von der Mönchbergstraße bog sie links ab in Richtung Bajuwarenstraße. An der Einmündung war ein Wartehäuschen für den Linienbus, das kannte sie. Als sie es von weitem sah, verlor sie die Balance, ruderte mit den Armen, rutschte aus und landete mit dem Gesicht voraus auf dem Boden. Sie schrie und weinte, Blut tropfte aus ihrer Nase, und ihr Gesicht schmerzte wie nach einem Faustschlag.
    Auf allen vieren kroch sie an den Straßenrand, rollte im Schnee auf die Seite und zog die Beine eng an den schlotternden, vom Weinkrampf geschüttelten Körper.
    Der Schnee schmeckte nach Metall. Wieder hörte sie weit in der Nacht eine Sirene. Der Polizei würde Adis Vater nicht entwischen, das war ihr großer Trost. Wenn sie erfror und starb und ihre Leiche erst im Frühjahr nach der Schneeschmelze gefunden wurde, wäre das nicht schlimm. Denn sie hatte Adi nicht verraten und seinen Vater ausgetrickst, obwohl er ihr so viel Angst eingejagt hatte wie noch nie jemand zuvor.
    Sie hatte ihr Versprechen gehalten, auch wenn sie auf der Autofahrt vor lauter Lügen fast gestorben wäre. So sehr hatte sie sich selbst einreden müssen, sie wären auf dem Weg zu Adi in Trudering, dass sie zwischendurch selbst daran geglaubt hatte. Und vor dem Haus dachte sie allen Ernstes, gleich würde nicht ihre Mutter die Tür öffnen, sondern Gregor, und sie müsste ihm sagen, dass Adi sofort zu seinem Vater kommen müsse, sonst schlüge dieser alle Menschen tot.
    Das hatte sie vielleicht nur zehn Sekunden gedacht, fiel ihr jetzt wieder ein, aber sie war sich vollkommen sicher gewesen, dass es so war.
    Mit dem Gesicht im Schnee lächelte sie. Dann drückte sie den Anorakärmel auf ihre blutende Nase. Wasser lief ihr vom Nacken den Rücken hinunter, ihr Gesicht brannte, als wäre es aus Flammen. Ich hab ein Feuergesicht, dachte sie und grub in der Tasche nach dem Handy. Ihre Finger waren fast unbeweglich.
    Nachdem sie das Gerät mühsam herausgezogen hatte, hielt sie es mit beiden Händen fest und tippte mit dem Daumen eine Nummer. Sie tippte daneben und fing von vorne an, mehrere Male. Dann hörte sie den vertrauten Ton. Sie wollte aufstehen, aber sie rutschte immer wieder weg.
    »Ja?«, sagte eine Stimme am anderen Ende.
    Sie hielt das Handy direkt vor ihren Mund. »Hier ist Fanny.«
    »Hier ist Tabor Süden, ich habe gehört, was passiert ist. Wo bist du?«
    »Im Schnee.«
    »Wo im Schnee, Fanny?«
    »In Trudering. Mir ist so kalt.«
    »Ich komme zu dir und bring dir warme Sachen mit. Kannst du bleiben, wo du gerade bist?«
    Sie nickte.
    »Fanny?«
    Sie nickte immer noch.

[home]
    15
    S ie saß auf der Rückbank des geheizten Autos und kaute an einem Schokoladenkeks. Neben ihr hielt Süden eine Tüte mit zwei Äpfeln und zwei Bananen im Schoß.
    Nils Steinfeger hatte beide Hände ans Lenkrad gelegt und sprach, wie die beiden anderen, minutenlang kein Wort.
    Aus der Schachtel, die zwischen Süden und Fanny lag, gab er dem Mädchen einen weiteren Keks. Sie nahm ihn und roch daran.
    Nach einem Schweigen sagte Süden: »Ist dir zu warm?«
    Sie schüttelte den Kopf, auf dem sie eine rote Pudelmütze trug. Aus Steinfegers Wohnung hatten ihr die Männer außer der Mütze einen gefütterten blauen Anorak mitgebracht, einen gelben Schal, braune Fellstiefel, die ihr drei Nummern zu groß waren, und braune Handschuhe, die ihr zwei Nummern zu groß waren. Richters Daunenanorak verwahrte Süden im Kofferraum.
    Seit zehn Minuten saß Fanny eingemümmelt neben Süden und schniefte leise. Die Füße hatte er ihr mit einem Handtuch trocken gerubbelt, und sie wollte, dass er nie wieder damit aufhörte.
    Im Zeno-Haus hatte er Bescheid gesagt, dass Fanny wieder

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