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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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einem harten Klacken schlossen die Türen. In allen Gängen der Wagen drängten sich die Leute.
    Da riss Schilff die Augen auf. Auf einem Platz am Fenster saß die Frau, die er gesucht hatte! Ariane. Er war sich ganz sicher. Die Bahn verschwand in der Röhre.
    Ich hab uns beide gerettet. Dann fiel ihm der Traum ein, den er in dem Zimmer in der Lämmerstraße gehabt hatte. An einem Nachmittag. An irgendeinem Nachmittag in der zeitlosen Zeit, die ihn in dieser Stadt umgab.
    In diesem Traum war Winter. Und die Erde bedeckt von rotem Schnee.

11
    A m liebsten habe ich die Geschichte von der Libelle. Ich habe sie schon mindestens zehnmal gelesen, heute Morgen wieder. Eberhard war noch im Bad, Eberhard, der im schönen Stadtteil Gern wohnt. Ich weiß nicht, warum ich zu ihm gegangen bin. Ich bin sehr müde und ratlos. Seine Telefonnummer steht in meinem alten Adressbuch, wie all die anderen Nummern. Ich bin noch betrunken. Wir haben heute Nacht Champagner getrunken, zwei Flaschen, oder drei, Eberhard hat sie zum Geburtstag geschenkt bekommen, vor vier Tagen ist er neunundfünfzig geworden. Er fragte mich, ob ich ihn heiraten will. Ich habe nein gesagt. Er hat es nicht verdient, eine versaute Frau zu kriegen.
    Vielleicht habe ich das Schlimmste hinter mir. Ich bin nicht gestorben. Beinahe hätte ich mir sogar das grüne Kleid in der Boutique in der Hohenzollernstraße gekauft. Aber dann war es mir zu teuer. Und ich hätte es die ganze Zeit mit mir herumtragen müssen, hätte es ja schlecht anziehen können. Ich will nicht auffallen, ich will, dass niemand mich sieht. Nur die Eichhörnchen hier im Park und die Krähen, meine Freunde. Der Regen hat sie alle vertrieben. Ich sitze im »Café Palmenhaus« und lasse mir nicht anmerken, dass ich vor Hunger schreien möchte.
    In der Geschichte von der Libelle steht, ein Prophet habe behauptet, die Libelle sei ein besonders frommes Tier, deshalb lassen sie die Götter jede Nacht zur Jungfrau werden, was ihr nicht besonders gefällt. Niemand will sie haben. Und in der Paarungszeit ist sie so einsam, dass sie den Vollmond verschluckt.
    Heute Nacht war kein Vollmond. Wir haben Champagner getrunken, und Eberhard hat meine Brüste gestreichelt. Er trug Gummihandschuhe, das hat er immer getan, er war zärtlich zu mir, fast liebevoll.
    Wenn die Libelle auf der Messerschneide sitzt, heißt es in der Geschichte, dann ist der Mörder unterwegs. Also saß sie heute Nacht nicht auf dem Messer, die ganzen letzten Nächte nicht. Außerdem sammelt die Libelle Briefmarken und liebt Heinrich Heine, den ich aus der Schule kenne. Und dann steht da noch, dass die Libelle in ihrer Sturm-und-Drang-Periode ein unsichtbares Band spinnen wollte, das Menschen und Tiere verbindet.
    Es gibt noch andere Geschichten in dem Büchlein, aber ich lese am liebsten die von der Libelle. Das Buch habe ich immer in der Tasche. Iris hat es mir zum Geburtstag geschenkt, da wurde ich fünfunddreißig. Fünfunddreißig schon. Aber mit zwanzig war ich auch nicht jünger, nur froher. Nein, froh bin ich nie gewesen, genauso wenig wie jung. So brauche ich keine Angst vor dem Alter zu haben, denn ich bin es gewohnt, alt zu sein. Darüber haben Iris und ich nie gesprochen, wozu auch, es gibt Wichtigeres. Zum Beispiel das »Glücksstüberl«, das uns beiden gehört, darauf bin ich stolz, auf unseren Mut, auf das Ziel, das wir erreicht haben.
    Vorhin war Iris schon wieder auf der Mailbox. Ich kann nicht zurückrufen, ich kann nicht. Sie sagt, die Polizei war da, was will die denn? Ich lebe, ich bin erwachsen, ich bin fünfunddreißig, ich gehöre mir.
    Eberhard hat gesagt, ich kleide mich schlecht, ich würde aussehen wie eine Vierzigjährige, das macht mir nichts. Er weiß nicht, dass er fast recht hat. Wenn ich schon vierzig wäre, hätte ich wieder fünf Jahre mehr gelebt, das ist eine schöne Vorstellung. Fange ich wieder an, Vorstellungen zu haben? Nein, das macht der Regen, er verführt mich zum Träumen. Ich will das nicht, ich will jetzt hier sein, nicht wegtauchen. Heute Morgen sagte Eberhard, ich hätte im Schlaf gemurmelt und geschmunzelt. Das habe ich bestimmt nicht getan. In meinen Träumen gibt es nichts zu schmunzeln.
    Er benutzte ein Kondom. Er ist Stammkunde in Bars und Absteigen, und seine Angst vor einer Ansteckung bringt ihn fast um. Deswegen trägt er immer seine Gummihandschuhe, weil er denkt, das Virus kriecht ihm sonst unter die Fingernägel und in seinen aufgekratzten Daumen. Trotzdem steckt er seine Finger

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