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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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übereinandergeschlagen. So wie sie. Im Gegensatz zu ihr war er nackt. Und er war muskulös. Und bleich. Und überall Wunden. Pflaster hingen von der Haut. Und überall wuchsen ihm Haare. Sogar aus den Ohren. Jetzt erreichte sie mit ihren Blicken sein Gesicht. Im weißen Licht fand sie es aufgedunsen. Leichenfarben. Sie wollte etwas zu ihm sagen.
    »Scheißnutte«, sagte er.
    Damit hatte sie nicht gerechnet.
    Sein Mund hatte sich überhaupt nicht bewegt. Seine feisten Lippen.
    »Was?«, sagte sie. Sie wollte bloß testen, ob sie noch fähig war zu sprechen.
    Er schaute sie an.
    Sie neigte sich ein wenig vor. Und wäre beinah abgerutscht. Der Stuhl bewegte sich. Sie klammerte sich an den Sitz, mit beiden Händen. Das Holz war an der Unterseite rauh. Sie schabte mit den Fingern drüber. Dann hörte sie damit auf.
    »Ich bring dich um«, sagte er. Er hätte auch sagen können: Das Wetter ist heut schlecht. So reglos blieb sein Gesicht. So gleichgültig wirkten seine Augen.
    Ariane wimmerte. Es gelang ihr nicht, diese Töne zu unterdrücken. Sie stiegen in ihr hoch wie Luftblasen. Sie musste sie von sich geben. Sonst würde sie ersticken. Oder für alle Zeit verstummen.
    »Du Scheißnutte hast mich angesteckt. Ich bring dich um«, sagte er.
    Sie wollte etwas erwidern. Sie öffnete den Mund. Und ihre Stimme versagte.
    Und dann tat er etwas, das für sie so fürchterlich war wie das, was er im Schlafzimmer getan hatte. Und wieder konnte sie sich nicht wehren. Wieder war sie gelähmt von der Wucht seiner Gewalt.
    Wenn sie auch nur einen Arm ausgestreckt hätte, um ihn zu stören, hätte sie das Gleichgewicht verloren und wäre auf den Boden gestürzt. So blieb ihr nichts als zuzusehen. Und zu heulen. Bei jedem Geräusch noch mehr zu heulen.
    Er hatte sich ihre Tagebuchkladde auf die Knie gelegt. Und riss jetzt eine Seite nach der anderen heraus. Zerfetzte sie. Bis nur noch winzige Teile übrig waren, die er ihr ins Gesicht schleuderte.
    Mit der Linken hielt er das Heft, mit der Rechten die Blätter fest. Und rupfte sie aus.
    Ariane konnte nicht wegsehen. Das Reißen drang in ihre Ohren. Das Zerfetztwerden. Alle ihre Gedanken. Alle ihre Sätze. Ihre Zuflucht. Ihr Gegenüber. Ihre Zuhörer. Jede Seite der DIN A4 großen Kladde war eine Zuhörerin für sie gewesen. Seit ihrem zwölften Lebensjahr.
    An ihrem zwölften Geburtstag hatte ihr Vater ihr das erste Heft geschenkt, Blumen vorne drauf. Sie hatte es noch. Das würde dieser Mann nicht finden. Und ihr Vater schenkte ihr einen Bleistift dazu. An dem baumelte an einem roten Faden ein Radiergummi in der Form eines Elefanten. Und der erste Satz, den sie auf die erste Seite ganz oben hinschrieb, lautete: »Heute hat mir Papa ein Tagebuch geschenkt, und an jedem Weihnachten werde ich ihm daraus vorlesen.«
    Sie hatte ihm nie daraus vorgelesen. Kein Weihnachten war wieder wie jenes, an dem sie das bunte Heft geschenkt bekam. Im April darauf starb ihr Vater. Und seit diesem Tag hatte nie wieder jemand »meine hübsche Hochwohlgeborene« zu ihr gesagt, wie er es immer getan hatte, wenn er ihr abends vorlas und ihr anschließend einen Kuss auf die Stirn gab. An jenem Freitag war sie von der Schule nach Hause gekommen, und Frau Kunert, ihre Nachbarin, hatte gesagt, Mama ist nicht da, du musst mit mir mitfahren. Dann sind wir in dem alten Opel ins Krankenhaus Rechts der Isar gefahren. Und meine Mama weinte auf dem Flur. Da hab ich sofort gewusst, dass mein Papa nicht mehr lebt. Frau Kunert hatte mir nicht gesagt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Er war nie krank. In der Küche, hat Mama später erzählt, ist er zusammengebrochen. Und nicht mehr aufgestanden. Der Arzt im Krankenhaus sagte: Herzinfarkt. Mein Papa hatte nie ein kaputtes Herz. Niemand hat mir erklären können, wieso ein starker großer Mann auf einmal umfällt und tot ist. Er war fünfundvierzig Jahre alt. Im Krankenhaus hab ich sofort gewusst, was war. Das war eine Eingebung. So klar wie auf dem Friedhof der blaue Himmel. Ich hab nach oben gesehen. Weil ich nicht zuschauen wollte, wie der Sarg in die Erde gelassen wurde. Am Himmel war keine Wolke. Nur die ungerührte Sonne.
    So nannte sie sich selbst »meine hübsche Hochwohlgeborene«. Vom Tag seiner Beerdigung an. Am vierundzwanzigsten Dezember, ihrem Geburtstag, schrieb sie ihm einen zehn Seiten langen Brief. Den las sie ihm beim nächsten Besuch am Grab vor. In dem Schrank im Schlafzimmer lagen die alten Hefte. Ungefähr hundert Stück. Bekäme der

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