Südlich der Grenze, westlich der Sonne
sagte ich zu Shimamoto.
»Geh nur«, sagte sie mit einem heiteren Lächeln. »In der Zwischenzeit lese ich ein bisschen.«
Ich beeilte mich, die Angelegenheit zu erledigen, aber als ich zurückkam, saß sie nicht mehr auf ihrem Platz. Es war kurz nach elf. Sie hatte eine Nachricht auf die Innenseite eines der hauseigenen Streichholzbriefchen geschrieben und es auf die Bar gelegt. »Wahrscheinlich kann ich eine Weile nicht kommen. Ich muss gehen. Leb wohl. Pass auf dich auf«, stand dort.
Eine Zeit lang fühlte ich mich völlig verloren und wusste nichts mit mir anzufangen. Ich strich ziellos durch die Wohnung, irrte durch die Straßen oder fuhr viel zu früh los, um meine Töchter abzuholen. Ich plauderte mit der jungen Frau im Mercedes. Ich ging sogar irgendwo in der Nähe mit ihr Kaffee trinken. Wir sprachen über das Gemüse bei Kinokuniya, die befruchteten Eier bei Natural House und die Sonderangebote bei Miki House. Sie war ein Fan der Designerin Yoshie Inaba und bestellte alles, was sie für die kommende Saison brauchte, aus dem Katalog. Wir sprachen über das vorzügliche Aal-Restaurant in der Nähe des Polizeihäuschens auf der Omote-sando, das leider nicht mehr existierte. Die angeregte Unterhaltung brachte uns einander näher. Sie war viel umgänglicher und offener, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Nicht, dass ich ein sexuelles Interesse an ihr gehabt hätte. Ich wollte einfach mit jemandem reden, ganz gleich mit wem. Was ich mir wünschte, war möglichst harmloses, unbedeutendes Geplauder, eine Unterhaltung, die, ganz gleich wohin sie führte, in keiner Beziehung zu Shimamoto stand.
Wenn ich gar nichts mehr zu tun hatte, ging ich in ein Kaufhaus. Manchmal kaufte ich sechs Hemden auf einmal. Ich kaufte Puppen und Spielsachen für meine Töchter und Modeschmuck für Yukiko. Mehrmals besuchte ich die Ausstellungsräume eines BMW -Händlers, schaute mir einen M5 an und ließ mir von einem Verkäufer alles Mögliche erklären, ohne die Absicht zu haben, den Wagen zu kaufen.
Nach einigen Wochen der Rastlosigkeit schaffte ich es allmählich, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren. So kann es ja nicht ewig weitergehen, dachte ich. Ich engagierte einen Designer und einen Innenarchitekten und plante mit ihnen die Renovierung der Bars. Es war höchste Zeit, einen neuen Kurs einzuschlagen und umzubauen. Bei Bars gibt es eine Zeit, in der man sie in Ruhe lassen sollte, und eine Zeit, in der man etwas verändern muss. Wie bei Menschen. Wenn die Umstände ewig dieselben bleiben, sinkt nach und nach der Energiepegel. Schon länger hatte ich das unbestimmte Gefühl, etwas verändern zu wollen. Die Gäste sollten meiner Gärten aus Luft nicht überdrüssig werden. Ich beschloss, zuerst die andere Bar zu renovieren und dann das Robin’s Nest. Ich ließ alles Überflüssige und Unpraktische entfernen, das nur des Designs wegen angebracht worden war. Das gesamte Ambiente sollte funktionaler werden. Stereo- und Klimaanlage mussten ebenfalls erneuert werden. Auch die Speisekarte wollte ich einer radikalen Veränderung unterziehen. Ich befragte jeden Angestellten einzeln und stellte nach ihren Vorschlägen eine ausführliche Liste der möglichen Verbesserungen zusammen. Sie wurde ziemlich lang. Daraufhin erläuterte ich dem Innenarchitekten, wie ich mir die neue Bar konkret vorstellte. Er brachte einen Entwurf zu Papier, ich fügte meine Änderungen ein und ließ den Plan noch einmal nach meinen Vorstellungen umarbeiten. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Male. Dann wählte ich die Materialien aus, ließ Kostenvoranschläge erstellen und korrigierte meine Ansprüche an die Qualität nach oben oder unten. Drei Wochen lang durchkämmte ich sämtliche Läden Tokios auf der Suche nach der idealen Seifenschale. So ertrank ich buchstäblich in Arbeit. Aber genau das wollte ich. Der Mai verging, und der Juni kam. Keine Shimamoto. Ich glaubte, ich würde sie nie wieder sehen. Wahrscheinlich könne sie eine Weile nicht kommen, hatte sie geschrieben. Die Wörter »wahrscheinlich« und »eine Weile« quälten mich mit ihrer Vagheit. Vielleicht würde sie ja doch eines Tages wieder auftauchen. Aber ich konnte nicht untätig herumsitzen und »wahrscheinlich« und »eine Weile« abwarten. Wenn ich so weitermachte, würde ich irgendwann den Verstand verlieren und als Wahnsinniger enden. Also beschloss ich, mich zu beschäftigen. Ich ging noch häufiger ins Schwimmbad als früher. Jeden Morgen schwamm ich etwa
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