Sünde einer Nacht (Geschichtentrilogie Band 3 Romantische Geschichten)
ich stand und ging, zum Beispiel zu Hause beim Abwasch, beim Putzen, beim Saugen, draußen auf den Wiesen, den kleinen Bächen und wogenden Feldern, an deren Rand ich manchmal stundenlang saß und dem Gesang der Vögel lauschte, dem Säuseln des Windes und all den geheimnisvollen Lauten der Natur.
Manchmal, selten, wenn es meine Zeit erlaubte, legte ich mich auch einfach nur ins Gras, verschränkte meine Arme unter dem Kopf, träumte den Himmel an und die Wolken, die hoch über mir ihr seltsames Spiel trieben, und rezitierte voller Inbrunst meine Lieblingspassagen.
Besonders in meiner Klasse nutzte ich jede Gelegenheit, meiner Johanna zu huldigen und rezitierte lautstark hinter dem Lehrertisch:
Vierter Auftritt
(Johanna allein)
Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften,
Ihr traulich stillen Täler, lebet wohl!
Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln,
Johanna sagt euch ewig Lebewohl.
Ihr Wiesen, die ich wässerte, ihr Bäume,
Die ich gepflanzt, grünet fröhlich fort!
Lebt wohl ihr Grotten und ihr kühlen Brunnen!
Du Echo, holde Stimme dieses Tals,
Die oft mir Antwort gab auf meine Lieder,
Johanna geht, und nimmer kehrt sie wieder!
Natürlich zollten mir die Klassenkameraden verdienten Beifall und ich fing wieder von vorn an, bis der Lehrer den Klassenraum betrat.
Jetzt versuchte ich mich wieder in diese Johanna, die die Natur so sehr liebte und doch in den Kampf der Menschen zog, hineinzuversetzen. Spontan nahm ich mir einen Stuhl, der einsam in der Ecke stand, stellte ihn in die Mitte des Prüfungsraums, stieg darauf und schrie euphorisch:
Ins Kriegsgewühl hinein will es mich reißen,
Es treibt mich fort mit Sturmes Ungestüm,
Den Feldruf hör‘ ich mächtig zu mir dringen,
Das Schlachtross steigt, und die Trompeten klingen!
Ich riss meine Arme empor, als wollte ich mich jetzt, sofort, in die Lüfte erheben, der Welt entschweben, mich von dem höchsten Gipfel eines meeresumtosten Felsens in die Fluten stürzen oder geradewegs in mächtiges Kriegsgetümmel.
Und doch warf ich verstohlen einen Blick in die Augen meiner Kritiker. Dort sah ich es amüsiert blitzen.
Aus der Traum. Bestimmt lachen die mich aus. Und ich hatte so viel Gefühl, so viel Kraft in meine Stimme, und natürlich auch in meine Gesten, gelegt. Mit Herz und Seele und Körper aktiven Einsatz geleistet.
Meine Arme sanken mutlos aus den Höhen, meine Beine trotteten zur Tür. Mein Mund sagte:
„Danke.“
Ich drückte die Klinke nieder, schloss leise die Tür von außen, blieb dann wie angewurzelt davor stehen und lauschte.
Aus dem Prüfungsraum erschallte lautes, unbeherrschtes Gelächter. Erstaunt bückte ich mich etwas und schmulte neugierig durch das Schlüsselloch.
Und was ich da erblickte, ließ mir fast das Blut in den Adern erstarren.
Die Mitglieder der Prüfungskommission warfen sich gegenseitig irgendwelche Wortfetzen zu, gestikulierten in der Luft herum und bogen sich fast vor Lachen. Es sah aus, als äfften sie mich nach. Einer war sogar aufgesprungen und sagte etwas bestimmt sehr Lustiges, denn wieder brachen alle in schallendes Gelächter aus. Bestimmt machten die sich über mich lustig. Über wen sonst.
Wusste ich es doch. Durchgefallen. Mit Pauken und Trompeten, wie man so schön sagt.
Mist, meine Tasche hatte ich auch vergessen. Also klopfte ich an die Tür, ganz zaghaft, und stand wieder vor den jetzt wieder ernsthaften Männern, auf deren Gesichtern sich noch immer ungewöhnliche Heiterkeit spiegelte.
„Sie sollten Komikerin werden“, sagte der Mann im dunklen Anzug. „Sie haben Talent.“
Ich? Komikerin. Nie und nimmer. Das war unter meiner Würde. Mir liegt das Dramatische, war ich sicher. Ich wusste damals noch nicht, dass Komiker selten sind und komisch sein ein Kompliment bedeutete.
Ich wollte die großen Rollen der Klassiker spielen. Die Tragödien der Russen. Nicht solchen Firlefanz. Komikerin.
„Sie hören von uns“, hatte ich vergessen, verbannt ins Märchen der unerfüllten Wünsche, der märchenhaften Träume. Und dann kam dieser Brief. Und dazu, als Folgeerscheinung sozusagen, Apoll. Und durch Apoll Johanna. Mein Sonnenschein. Sie war jetzt zwei Jahre alt. Und diese zwei Jahre waren alles andere als Zuckerlecken gewesen. Und das Jahr der Schwangerschaft natürlich auch.
*
Mein Mann dieser Nacht war also verschwunden. Vor Schreck blieb ich bewegungslos auf dem Bett mit der roten Plüschdecke
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