Sünden der Nacht
Ablenkungen.«
Mitch runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
Jessie nahm einen Schluck von ihrer Milch. »Daddy, meinst du – äh –, daß bei der Parade wieder so Männer dabei sind wie beim letzten Mal, solche, die wie Käse angezogen sind? Die waren so lustig.«
»Wahrscheinlich, Schätzchen«, murmelte er, sah aber immer noch Megan an.
Jessie stürzte sich in einen detaillierten Bericht über die Fackelparade vom Vorjahr. Und Megan, dankbar für die
Ablenkung von Mitchs bohrenden Fragen, konzentrierte sich auf 285
das kleine Mädchen. Bis sie mit ihrer Geschichte fertig war, wäre auch die Mahlzeit zu Ende, und sie könnte sich absetzen.
Mitch verdiente ein bißchen Zeit allein mit seiner Tochter, und Megan wollte sich von diesem fremden Milieu zurückziehen und das einzige tun, was sie wirklich beherrschte – sich in ihre Arbeit verkriechen.
20 Uhr 19, -7 Grad
Megan fuhr durch die menschenleeren Straßen von Deer Lake und verfluchte die Heizung ihres Autos. Wirklich eine
lächerliche Jahreszeit für einen Festzug, und trotzdem nahmen scheinbar alle daran teil. Megan fragte sich, wie vielen Spielern von Blechinstrumenten der High School Bands wohl die Lippen am Mundstück anfrieren würden.
Sie erinnerte sich an Jessies Geschichte von der Parade letzten Jahres und mußte lächeln. Die Umzugswagen, die sie in der Garage des alten Feuerwehrgebäudes gesehen hatte, konnte sie sich gut vorstellen, auch die Clowns und die Käsestücke auf Skiern von der Buckland-Käsefabrik, wie sie ausrutschten und hinfielen, sich ineinander verhedderten und wie die Zuschauer auf den Gehsteigen sich vor Lachen bogen.
Wieviel Spaß würde es heute abend geben? Heute abend, wo jeder an das vermißte Kind dachte und jeder Teilnehmer ein gelbes Band trug und auf jedem Wagen ein Transparent hing, auf dem BRINGT JOSH NACH HAUSE stand.
Megans Gedanken waren allesamt auf Joshs Rettung gerichtet.
Sie hatten so wenig in der Hand, die Hinweise von der Hotline beschränkten sich auf Sackgassen und falsche Hoffnungen. Sie mußte immer wieder an Olie Swain denken. Er war der einzige, den man überhaupt als Verdächtigen bezeichnen konnte. Mitch teilte wohl ihre Meinung, sonst wäre er nie das Risiko eingegangen, sich Olies Van anzuschauen.
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Wieder wünschte sie sich, er hätte sie in die Sache mit dem Van eingeweiht. Und in seine Geschichte. Sie hätte das Telefon nehmen können und mit ein paar Anrufen seine Vergangenheit aufdecken. Wenn sie das gewollt hätte, könnte sie sich bei TV 7
erkundigen und eine Kopie von Paige Price’ Enthüllungsstory über ihn besorgen lassen. Auch bei der Polizei in Miami hätte sie jemanden kontaktieren, oder die Story aus den Archiven des Miami Herald rausholen können. Aber sie würde nichts dergleichen tun. Es mußte von Mitch selbst kommen, und der Grund dafür jagte ihr höllische Angst ein. Tief in ihrem Inneren, wo Logik nichts verloren hatte, wollte sie, daß er ihr vertraute.
» Du bist so dämlich, daß dich die Schweine beißen, O’Malley. «
Er wollte sie flachlegen, nicht ihr sein Herz schenken.
Sie wollte es auch. Ihr dritter Tag bei diesem Job, und sie wollte Sex mit dem Polizeichef.
» Du bist zu blöd zum Naseputzen, O’Malley. «
Wollust. Chemie. Tierische Begierden. Der Überschwang
einer hochexplosiven Situation. Körperliche Bedürfnisse, die zu lange ignoriert worden waren. Die Ausreden schwirrten durch ihren Kopf, alle wahr, keine die Wahrheit. Sie würde nicht nach dem eigentlichen Kern suchen, aus Sorge vor dem, was dort lauerte. Ein Verlangen, das nie gestillt worden war. Eine Sehnsucht, die sie seit ihrer Kindheit begleitete, Sentimentalitäten!
In ihrem Leben war kein Platz für eine Beziehung und schon gar nicht für eine mit Mitch Holt, angesichts all der
Schwierigkeiten, die sie bringen würde. Sie konnte nicht begreifen, daß sie tatsächlich mit diesem Gedanken gespielt hatte. Phantasien von Liebe und Familie und dunkelhaarigen kleinen Kindern hatte sie immer in die tiefsten, dunkelsten, einsamsten Stunden der Nacht verbannt, wo man sie als Träume abtun konnte, wenn Tageslicht und Realität untergetaucht waren. Es verwirrte sie, daß sie ausgerechnet jetzt
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aufmarschierten, wo sie weder Zeit noch Energie besaß, mit ihnen fertig zu werden. Sie mußte sich uneingeschränkt dem Fall widmen! Mit derselben sturen Entschlossenheit, mit der sie Karriere gemacht hatte, zwang sie ihren Verstand in diese Richtung und steuerte ihren Wagen zur Eishalle.
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