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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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schon mehr als einmal durchgespielt. Das milderte ihren Haß nicht und trieb nur Neils Blutdruck in die Höhe. Trotzdem erstaunte es sie immer wieder, daß das Kind, an dem ihr Vater immer noch hing und von dem er ständig prahlte, keinen Deut Interesse an ihm zeigte, während sie, die
    ungewollte Erinnerung an die treulose Maureen, das Kind, das, wenn es nach Neil O’Malley gegangen wäre, genausogut in irgendeiner Gasse hätte aufwachsen können, ihm die Stange hielt, gekettet an lieblose, ja hassenswerte Erinnerungen.
    In der Hoffnung, daß ihr das vielleicht helfen würde, die Vergangenheit loszuwerden, sah sie sich in der winzigen Küche mit den knallig türkisen Wänden und dem karierten Vorhang um, der steif vor Alter und Fett war. Sie verabscheute diesen Raum mit seinen billigen weißen Blechschränken und dem alten, schäbigen Spülstein. Sie haßte den Geruch von Talg und Zigaretten, das graue Linoleum, den Tisch und die Stühle mit den Chrombeinen, wo ihr Vater saß, eine heruntergekommene Häuslichkeit ohne Leben und Wärme – irgendwie ähnelte sie in mancher Hinsicht ihrem Vater.
    Auf den ersten Blick war Neil O’Malley keineswegs häßlich.
    Er hatte ein scharfes, kantiges Gesicht – war einmal recht attraktiv gewesen –, und seine Augen strahlten in tiefem Blau.
    Aber Zeit und Verbitterung hatten ihren Glanz gestohlen, genauso wie die Farbe aus seinen Haaren und die Kraft aus seinem Körper. Der Mann, den sie als beachtliches Muskelpaket in blauer Polizeiuniform in Erinnerung hatte, war geschrumpft und schlaff geworden. Seine rechte Hand zitterte, als er sein Glas zum Mund hob.
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    Megan rührte den reichhaltigen Eintopf auf dem Gasherd um, Lamm mit Gemüse. Das kochte sie immer, wenn sie ihn
    sonntags besuchte – nicht weil sie das gerne mochte, sondern weil Neil über alles andere nörgeln würde. Gott bewahre, niemals hatte sie ihn ärgern wollen, niemals! Aber recht konnte sie ihm auch nichts machen, dem alten Griesgram.
    »Hast du in letzter Zeit mit Mick geredet?« fragte sie.
    Natürlich nicht. Mick ruft dich nie an, obwohl er weiß, wieviel das für dich bedeuten würde. Er hat dich nicht mehr besucht seit dem Jahr, in dem die Endspiele im NCCA-Basketballturnier im Metrodome abgehalten wurden und es ihm gelungen war, einem reichen Klienten aus L.A. eine Eintrittskarte abzuschwatzen.
    »Ach, nee.« Neil winkte ab, als wäre die Frage nur eine Wolke Mief. »Er ist beschäftigt, weißt du, leitet ja praktisch den Laden, in dem er arbeitet. Wahrscheinlich wär er längst der Chef, wenn da nicht die gottverdammten Juden …«
    »Möchtest du noch ein Bier, Paps?« Sie hatte keine Lust, zum millionsten Mal seine antisemitischen, antischwarzen oder antienglischen Haßtiraden anzuhören.
    Er hob die Flasche mit dem alkoholfreien Gebräu, schnitt eine Grimasse und hustete einen Batzen Schleim hoch. »Du lieber Himmel, nein. Das Zeug schmeckt wie Scheiße. Warum bringst du mir nicht was Anständiges zu trinken?«
    »Weil dein Doktor will, daß du nichts Alkoholisches trinkst.«
    »Scheiß auf ihn. Er ist ein beknackter Faschist – nicht mal Amerikaner, weißt du.« Er hob eine Zigarette aus der Packung und schüttelte sie drohend. »Das ist es doch, was in diesem Lande stinkt. Sie lassen zu viele gottverdammte Ausländer rein.«
    »Und woher ist dein Vater gekommen?« Die sarkastische Bemerkung rutschte ihr einfach raus, wider besseres Wissen, aber sie konnte nicht anders. Wenn sie alles in sich hineinfraß, würde sie an innerer Vergiftung sterben.
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    »Werd ja nicht frech«, warnte Neil. »Mein Vater war Ire und stolz drauf. Er war in Connemara geblieben, ohne diese gottverdammten Briten!«
    Ihr Vater zündete sich die Zigarette an, sog sich die Lunge voll Rauch, und dann kam das übliche Ritual von Würgen und
    Keuchen. Megan schüttelte angewidert den Kopf. Seine Arterien waren in schlimmerem Zustand als die siebzig Jahre alten Wasserrohre des Hauses – verstopft durch den Dreck von über sechzig Jahren Cholesterin, Teer und Stadtluft. Es war ein reines Wunder, daß es überhaupt noch ein Tropfen Blut bis in sein Gehirn schaffte – was, wie sie annahm, einiges erklärte. Er hatte bereits einen kleinen Schlaganfall hinter sich, und sein Arzt prophezeite bereits den nächsten, wenn Neil seinen Lebensstil nicht änderte. Der Arzt hätte sich auch die Spucke für die Antinikotinrede sparen können. Trotz der warnenden Anzeichen von Lungenerkrankung rauchte Neil weiter, als wären seine

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