Sünden der Nacht
verlassen, als ich sechs war. Seitdem ist sie verschollen.«
Sie schleuderte ihm diese Aussage wie einen Fehdehandschuh an den Kopf, wie eine Herausforderung, mehr draus zu machen.
Mitch runzelte die Stirn. »Ich wollte nicht neugierig sein, nur …«
Nur was? Ich wollte mehr über dich wissen. Wollte wissen, was dich ticken macht. Wollte dir auf einer Ebene nahekommen, an die zu denken mir nicht zusteht. Und während er das dachte, war ein anderer Teil seines Verstandes damit beschäftigt, dieses neue Stück in das Puzzle Megan O’Malley einzufügen. Er konnte sie sich nur allzugut vorstellen – klein und allein, zu ernst, immer bemüht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; ein kleines Mädchen mit großen grünen Augen und langen dunklen Haaren, wie sie hinter ihrem Vater, dem Cop, hertappte, so wie seine Jessiemaus.
»Du und dein Dad, ihr müßt euch sehr nahe stehn.«
Sie lächelte, kein warmes Lächeln von Stolz und Zuneigung, sondern das brüchige eines schlechten Scherzes. »Es ist spät.
Machen wir Schluß für heute.«
Er packte ihren Arm, als sie versuchte aufzubrechen. »Tut mir leid, wenn ich was Falsches gesagt habe!«
»Das hast du nicht«, log sie, weil die Wahrheit viel zu kompliziert und zu chaotisch war, um sie in dieser Situation aufs Tapet zu bringen. »Ich bin nur müde.« Dann fügte sie kühl hinzu: »Ihr Zimmer ist auf der anderen Seite des Korridors, Chief.«
Sie versuchte sich loszumachen, aber Mitch hielt sie fest. Er war verärgert über ihre Abfuhr, frustriert, weil er die Mauern, hinter denen sie sich versteckte, einreißen wollte. Wenn er auch nur einen Funken Verstand hätte, würde er sich mit dieser einen Nacht voll herrlichem Sex zufriedengeben und den Rest
vergessen. Er brauchte nicht die Kopfschmerzen eines
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Verhältnisses, ganz besonders jetzt nicht. Und er hatte auch keinen Bedarf an Frauen, die eine Macke von der Größe
Neuseelands mit sich herumschleppten.
Trotzdem umklammerte er sie.
»Ich weiß, wo mein Zimmer ist, aber ich würde lieber
hierbleiben.«
»Und mir wär’s lieber, wenn du gingest.«
Er kniff die Augen zusammen und sah sie von der Seite an.
»Ist das dein Ernst, oder gehört das wieder zu deiner Nummer Harte Braut?«
»Es ist keine Nummer«, fuhr sie ihn wütend an und betete, daß er die Lüge nicht bemerkte.
»Du kannst nicht einfach so tun, als hätten wir die Grenze nicht bereits überschritten, Megan«, sagte er leise.
»Trotzdem will ich Distanz.«
»Warum? Wovor hast du Angst?«
Die Antwort lag ihr auf den Lippen, aber sie weigerte sich, sie ihm zu geben. Diesen Fehler würde sie nicht machen, ihr Selbstschutzsystem hatte sich schon zu lange bewährt.
Diesmal ließ er sie los, als sie zu zappeln begann, aber seinen prüfenden Blick spürte sie wie eine Berührung ihrer Haut.
»Schau …« Sie kratzte mit dem Daumen an einem Fleck
getrockneter Knoblauchsauce auf ihrem Pullover herum. »Es kompliziert nur alles, das meine ich. Ich kann in meinem Job nicht funktionieren, wenn du mich nicht respektierst …«
»Deine berufliche Autorität respektiere ich doch …«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und ging hinter den Tisch, um Abstand und Möbel zwischen sie beide zu bringen.
»Wirklich? Du hast eine komische Art, das zu zeigen.«
»Ich behandle dich genauso wie meine Männer«, er folgte ihr.
»Versuchst du Noogie in dein Bett zu kriegen? Ein ziemlich 338
abenteuerlicher Lebensstil für einen Kleinstadtcop.«
»Verdammt, laß diese blöden Sprüche«, knurrte er und ging um den Tisch herum. »Du weißt, was ich meine.«
Megan wich vor ihm zurück. »Klar weiß ich das. Ich weiß, wenn ich eine Affäre mit dir habe und wenn die dann vorbei ist, wird alles peinlich sein und es wird böses Blut geben, mit dem man fertig werden muß, und mein Ruf wird angeschlagen sein
…«
»Du unterstellst mir wirklich einen ziemlich üblen Charakter.«
Sie blieb stehen und sah ihm in die Augen, abgeklärt und hart, weil sie nur so überlebt hatte. »Das muß ich, zu meinem Schutz.«
»Und warum das?« Er verzog verächtlich den Mund. »Ist dir dein Job so wichtig – daß du ihm dein ganzes Leben opferst?
Großer Gott, was soll das für ein Leben sein?«
»Es ist alles, was ich habe.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bereute sie sie schon. Sie biß sich auf die Zunge, aber es war zu spät, sie hingen in der Luft, um von Mitch Holt aufgesaugt und verdaut zu werden. Es war, als hätte sie einen Brocken aus ihrer
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