Sünden der Nacht
Mannschaft von TV 7 einen Live-Spezialbericht über den Fall sendeten.
19 Uhr, -34 Grad, Windabkühlungsfaktor: -52 Grad
»Heute abend werden wir keine Polizei und niemanden aus dem Büro des Sheriffs hören.« Mitch hatte nämlich allen seinen Leuten untersagt, mit ihr zu reden, und Steiger hielt es für besser, sich für ein oder zwei Tage zu verkrümeln. »Heute abend reden wir mit den Bürgern von Deer Lake, der kleinen Stadt, die durch die Entführung des achtjährigen Josh Kirkwood und der Entdeckung eines Monsters in ihrer Mitte erschüttert wurde.«
Zwischen einem Computer und einem langen Tisch, auf dem sich gelbe Handzettel stapelten, bewegte sie sich hin und her.
Die Leute, die an dem Tisch in der Josh-Kirkwood-
Freiwilligenzentrale saßen, schauten auf zu ihr. Sie trug eine enge dunkle Hose und einen Kaschmirpullover in gedämpftem 383
Violett, das ihre zu blauen Augen unterstrich – schick genug, um ihren Respekt zu zeigen und doch so lässig wie eine Urzeitblondine aus der Menge. Ihr Haar war absichtlich zerzaust, sorgfältig festgesprayt, das Make-up raffiniert unauffällig.
»Heute abend hören wir uns die Menschen von Deer Lake an, die Freiwilligen, die ihre Zeit, ihr Geld und ihre Herzen den Bemühungen, Josh Kirkwood zu finden und seine Entführer ihrer gerechten Strafe zuzuführen, geopfert haben. Wir werden mit einem Psychologen über die Auswirkungen sprechen, die dieses Verbrechen auf die Gemeinde hat und über die Psyche von Männern, die Kindern nachstellen. Außerdem werden wir mit Joshs Vater, Paul Kirkwood, sprechen und seine Reaktion auf die Verhaftung von Leslie Olie Sewek miterleben.«
19 Uhr 04, -34 Grad, Windabkühlungsfaktor: -52 Grad
»Es reicht noch nicht, daß sie die Überwachung vermasselt hat«, regte Megan sich auf, als die Show für einen Lotterie-Werbespot unterbrochen wurde, in dem ein Cartoon-Bär im Winterschlaf die Hauptrolle spielte. »Wenn Paige und ihre Kohorten erst mal fertig sind, wird es im ganzen Staat keinen unparteiischen Geschworenen mehr geben.«
Sie sahen sich die Sendung auf einem kleinen Farbfernseher an, der auf einer alten Eichenanrichte im Büro der
stellvertretenden Bezirkstaatsanwältin Ellen North balancierte.
Mitch saß mit dem Rücken zum Gerät da, er weigerte sich, Paige in ihrer Stunde des Triumphs anzusehen. Die Show war auf Ellens Bitten eingeschaltet worden. Ihr Boß, Rudy Stovich, mochte zwar derjenige gewesen sein, der der Presse sagte, sie würden diesen Fall mit allen Rechtsmitteln verfolgen, aber die meiste Arbeitslast würde auf Ellen entfallen.
Stovich war mehr Politiker als Staatsanwalt, Mitchs Meinung 384
nach im Gericht ein ungeschickter Tölpel. Damit konnte er vielleicht in einem ländlichen Bezirk durchkommen, wo es kaum nennenswerte Verbrechen und nur wenige Anwälte zur Auswahl gab. Die brillanteren wanderten in die Twin Cities ab, wo es mehr Action gab, mehr Geld und mehr Gerichte. Die Leute von Park County hatten verdammtes Glück mit Ellen North.
Sie saß hinter ihrem Schreibtisch und aß ein
Truthahnsandwich. Ihr helles blondes Haar hatte sie ordentlich mit einer Schildpattspange zusammengerafft. Sie war
fünfunddreißig, herzverpflanzt von der Justiz von Hennepin County – oder wie Ellen es manchmal ausdrückte, von dem wunderbaren Minneapolis-Irrgarten der Justiz –, wo sie den Ruf einer eisenharten Anklägerin genoß. Das gewaltige
Arbeitspensum, die Bürokratie, das Mitspielen und das
wachsende Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen, da die Verbrechensrate in den Twin Cities unaufhaltsam wuchs, hatten sie zermürbt, und so hatte sie sich für den relativen Frieden und die ›Beschaulichkeit‹ von Deer Lake entschieden.
»Ihr könnt drauf wetten, daß Sewek einen anderen
Verhandlungsort verlangt«, sie wischte sich die Finger an einer Papierserviette ab.
»Und ihr könnt drauf wetten, daß er den kriegt –
vorausgesetzt, wir haben genug Beweise für eine Anklage. Hat sich bei der Durchsuchung irgend etwas ergeben? Eigentum von Josh? Irgend etwas im Van – Haare, Fasern, Blut?«
»Sie haben das Innere des Vans mit Luminol ausgesprüht und hinten auf dem Teppich ein paar Blutflecken gefunden«, sagte Megan. »Aber zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, ob es menschliches Blut ist, ganz zu schweigen davon, ob es von Josh Kirkwood ist. Die gerichtsmedizinischen Ergebnisse kriegen wir erst in zwei Tagen. Im Haus haben wir nichts gefunden, was Olie direkt mit dem Verbrechen in Verbindung
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